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Black & white – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill

Tom und Axel geraten nur in puncto Basketball ins Schwärmen. Seit sich die beiden Langen (1,89 und 2,03 m) aus dem Flieger gezwängt haben, reden sie ununterbrochen über die Finals der NBA. Das muß jetzt endlich aufhören, wir sind schließlich in Johannesburg, nicht in New York! Hier gibt es drei Sportarten, die zählen und den Pigmenten wie folgt zugeordnet werden können: Die Buren stehen auf Rugby, weil Raufball ihrer Gemütsverfassung entspricht; die Angelsachsen und Inder lieben das rätselhafte Cricket; die Schwarzen fahren auf Fußball ab.

Samstagnachmittag in Joburg. Im zweiten Kanal läuft der Unterhaltungsfilm „Bundesbertis Blutgrätscher grüßen die Bantus“, ein Zusammenschnitt des Bundesligaspieltags der Vorwoche. Abpfiff. Herrgottsakrament-Kruzifixhalleluja, die Bayerndeppen werden schon wieder Meister! Der zweite Teil des Tages beginnt: Warten auf Ernst Huberti, äh, auf Sabine Töpperwin. Die Westkonferenz live, dank Deutscher Kurzwelle auch in der Südkurve am Kap auf 15,275 kHz zu empfangen, Zuschaltung 16.35 Uhr. Bis dahin ist noch jede Menge Zeit. Also, Tom und Axel, raus nach Soweto, das Lokalderby ist angesagt: Kaizer Chief's gegen Orlando Pirates, die Spitzenteams aus Soweto, ein Klassiker wie weiland Bayern gegen Gladbach. 70.000 Zuschauer, im Hintergrund die Goldfördertürme und Wolkenkratzer Joburgs, auf dem Rasen zwölf Fallrückzieher pro Minute. Wunderbar, wie Doktor Khumalo und seine schwarz-gelbe Combo zaubern. Nie wieder Apartheid, nie wieder zweite Liga! Elf Kaizers müßt Ihr sein! Und jeder würde ein Krummbein wie Buchwald in der Telefonzelle schwindlig spielen. Soeben haben die Kaizer Chief's die Abwehr der Pirates ausgetrickst, Volleyschuß frei vorm Tor, ein Verteidiger wehrt mit der Hand ab. Elfer. Die Orlando-Fans – weiße Arztkittel, weiße Bauarbeiterhelme mit schwarzen Totenköpfen drauf – werden fuchsteufelswild. Werfen Flaschen und Dosen in den Strafraum. Unmöglich, den Penalty zu treten. Ratlosigkeit beim Schiri. Irgendwie gelangen ein paar Verrückte aufs Feld. Sie reißen die Werbebanden ab und legen sie über den Elefantengraben, der Zuschauer und Akteure trennt. Dutzendweiße rennen die Orlando-Krieger drüber und verwandeln das Spielfeld in ein Tollhaus. Wo bleiben die Ordner? Wo die Polente? Fehlanzeige. Es gibt überhaupt keine Sicherheitsmaßnahmen, weil Hooliganismus in Südafrika ein Fremdwort war – bis heute. „Thobeka soll Johannes im Medienraum treffen.“ Das ist der einzige Satz, den der Stadionsprecher über die Lippen bringt. Der Rasen gleicht einer Wallstatt, auf der Gegentribüne brennen die Plastiksitze: Spielabbruch. Das gab's so noch nie. Manchen Zuschauer packt der Zorn: „Da haben wir endlich das neue Südafrika, die Apartheid ist besiegt. Und was machen die Hohlköpfe? Sie suchen sich neue Feinde. Shame!“ Es ist, als hätte der Soccer made in South Africa in diesen Minuten seine Unschuld verloren. Tom und Axel und Autor schauen bedröppelt drein. Ein Sportfest hätte es werden sollen – und jetzt so was. Aber man kennt das ja vom Fußball aus Teutschland. Beim nächsten Mal gehen die zwei Langen wieder zum Basketball. Die NBA läuft, und nächste Woche gibt's in Soweto ein Turnier. Fuck off, Cola-WM! Schande über Orlandos Piraten!

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