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Alle Spuren sind längst verwischt

Im Prozeß um den mutmaßlichen Brandstifter von Dolgenbrodt, Silvio J., brechen die Zeugen der Anklage weg / Hat der Potsdamer Staatsanwalt Robert Lenz zu einseitig ermittelt?  ■ Aus Potsdam Michaela Schießl

Diesmal sollte nichts mehr schiefgehen: Ute Preißler, ehemals Bürgermeisterin des Dörfchens Dolgenbrodt, 40 Kilometer südlich von Berlin, erschien gut vorbereitet und in Begleitung ihres Nachfolgers, des Anwalts Karl Pfannenschwarz, vor dem Potsdamer Landgericht. Nur nicht wieder so überfahren lassen wie im August 1993. Damals sprach sie noch frei von der Leber weg – und lockte innerhalb weniger Stunden Hunderte von Journalisten in das kleine Dorf. Ihr damaliger Kommentar zu dem in der taz veröffentlichten Verdacht, Bürger des Dorfes hätten Rechtsradikale für 2.000 Mark angeheuert, das Asylbewerberheim einen Tag vor Einzug von 86 Afrikanern abzufackeln: „Ich weiß nichts von einer Geldsammlung. Aber keiner war traurig über diese Lösung.“

Eine Identifikation mit den Brandstiftern sei das, empörte sich Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ein Eindruck, dem sich nun der Vorsitzende Richter Klaus Przybilla anschließt. „Wenn ein entsprechendes politisches Klima geschaffen wird, erklärt sich mindestens einer bereit, Vollstrecker dieses Widerstands zu sein“, kommentiert er die Zeugenaussage von Preißler.

Die 49jährige berichtet von dem heftigen Widerstand der Dorfbevölkerung gegen das Asylbewerberheim, von den emotional aufgeheizten Versammlungen im Dorfgasthaus Kober. „Da gab es schon mal Zwischenrufe: Am besten, das Ding brennt.“ Schriftlich fragten die Dörfler den Landrat: „Wollen Sie ein zweites Rostock?“

Das seien nur „dumme Reden“, sagt Preißler. So wie der Spruch eines Feuerwehrmannes: „Wenn es jemals Spuren gab, jetzt gibt es keine mehr.“ Solche Äußerungen müsse man einordnen können.

Sie selbst sei erst gegen vier Uhr morgens, über eine Stunde nach Brandbeginn, vom Landrat Helmut Munkow geweckt worden. Die Feuerwehrsirenen hatten sie im totenstillen Dolgenbrodt in jener Nacht auf den 1. November 1992 nicht geweckt. „Der Wind stand wohl ungünstig.“ Tatsächlich wehte er aus günstiger südöstlicher Richtung. Doch auch die Feuerwehrleute hörten schwer in jener Nacht. Nur fünf von den fünfzehn waren zum Löschen erschienen. „Normalerweise wimmelt es bei einem Großbrand nur so von Schaulustigen“, berichtet ein Polizeibeamter. „Ich habe noch nie so einen merkwürdig stillen Brand erlebt.“ Ganz Dolgenbrodt hielt still, als das ungeliebte Objekt abbrannte.

Doch nicht Dolgenbrodt, nicht Ute Preißler steht vor Gericht. Der Angeklagte ist der 19jährige Silvio J. aus Königs Wusterhausen. Er wurde am 17. Mai 1993 festgenommen, nachdem er sich mehrfach öffentlich der Brandstiftung bezichtigt und behauptet hatte, 2.000 Mark von den Bürgern kassiert zu haben. Silvio J., der einschlägige Kontakte zu der rechtsradikalen Szene Königs Wusterhausens besitzt, bestreitet die Tat. Doch seine Behauptung, daß Geld gezahlt worden sei, erhält er aufrecht. Und er nannte Namen: Blumenhändler Thomas Oste, der neben dem nun abgerissenen Heim wohnt, soll den Betrag ausgezahlt haben. Die Tat selbst habe der Dorfskinhead Marko Schmidt begangen, gemeinsam mit den Rechtsradikalen Ernst Otto und Renato Paschke.

Alle vier von J. Beschuldigten bestreiten ihre Beteiligung. Die Ermittlungen, so der Potsdamer Staatsanwalt Robert Lenz, haben keine objektiven Anhaltspunkte ergeben, die zu Zweifeln an der Richtigkeit der Bekundung der Zeugen Anlaß gäbe.

Zweifel indes bestehen, ob sich die Ermittler in Sachen Anstiftung und bei der Suche nach anderen möglichen Tätern Mühe gegeben haben.

Besonders in der Anfangsphase sei schludrig gearbeitet worden, sagt Kriminalhauptkommissar Wesemann, der erst später in die Ermittlungen einstieg. Verteidiger Karsten Beckmann klagt: „Die haben sich von Anfang an auf J. als Sündenbock festgelegt. Hier soll wieder ein Einzeltäter herhalten.“ Allerdings hat sich J. selbst in diese Lage gebracht. Am Tag vor dem Brand bat er um braune Bierflaschen, die er, wie der Zeuge behauptet, angeblich „zum Molotowcocktailbau“ benutzen wollte. In Wahrheit wurden grüne Flaschen benutzt. Am Tag nach dem Brand ließ sich J. von einem Freund an die Ruine fahren, dem er anvertraute, die Tat begangen zu haben. Tags drauf brüstete er sich in der Berufsschule mit der Brandstiftung einschließlich der Bezahlung. „Der wollte nur den Helden markieren“, sagt ein Klassenkamerad. Ja, man sei durchaus als Held angesehen, wenn man Asylbewerberheime ansteckt.

Auch die Fasern einer Tarnhose, die am Zaun gefunden wurden, taugen als Beweismittel wenig. Zwar besitzt J. eine solche Hose, behauptet jedoch, sie erst im Mai 1993 ausgeliehen zu haben. „Die Fasern sind wie von dieser Hose. Doch das sind Massenprodukte“, so eine Expertin.

J.s Alibi für die Tatnacht ist dünn: Er habe zusammen mit einem Kumpel im Senziger Autohaus Japke eingebrochen. Den Kumpel will er nicht nennen, die genaue Tatzeit für den Bruch ist nicht feststellbar. Zudem zeigte die Firma nur zwei Beschädigungen an, J. sprach indes von vier aufgebrochenen Wagen. Das reiche, um am Alibi zu zweifeln, sagt Kriminalhauptkommissar Wesemann. J. dagegen behauptet, zwei Autos außerhalb des Firmengeländes aufgebrochen zu haben.

Seit zehn Monaten sitzt der Jugendliche in Untersuchungshaft, nachdem die Haftverschonung im September 1993 aufgehoben wurde.

Die zuständige Jugendrichterin Hase wollte J. auf freiem Fuß lassen, da sie keine Fluchtgefahr sah. Staatsanwalt Lenz jedoch machte Druck. Er sandte zwei Polizeibeamte zum Arbeitgeber von Silvio J. Daraufhin verlor er die Lehrstelle. J. kam in Haft. Vergangenen Mittwoch wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt – wegen Unverhältnismäßigkeit. Tatsächlich sind der Anklage die Hauptbelastungszeugen weggebrochen. Axel Falk, ein 17jähriger aus Friedersdorf, zog seine Behauptung zurück, er hätte J. in der Tatnacht beobachtet. Das habe er erfunden, weil ihn die Polizei unter Druck gesetzt habe und J. als Täter bereits im Gespräch war. Auch seine Aussage, J. am Tatabend gegen 21 Uhr in einem Opel Kadett am Asylbewerberheim gesehen zu haben, ist revidiert. „Vielleicht war es auch Marko Schmidt im Auto.“ Schmidt fährt einen dunklen Kadett. Zunächst hatte sich Falk selbst als Täter gebrüstet – um anzugeben.

Zeuge Frank Horn, der angegeben hatte, J.s Autokennzeichen gesehen zu haben, zog die Aussage vor Gericht zurück und behauptet, diese sei ihm in den Mund gelegt worden. Tatsächlich kann der Beamte Pollnick nicht ausschließen, die Zeugen mit dem Spruch „Sagt die Wahrheit, oder ich fahr' Schlitten mit euch“ unter Druck gesetzt zu haben. Ebenfalls möglich, daß er das Kennzeichen erwähnt hatte.

Übereinstimmend berichten die Zeugen Horn, Falk und Reuter, wie sie am Abend des Brandes von Friedersdorf nach Dolgenbrodt gefahren seien. Im Jugendklub war zu hören, daß Skinheads aufmarschieren. Doch noch stand das Heim. Die drei Jungs in Kampfanzügen gingen ins Gasthaus Kober. Und wurden begrüßt mit den Worten: „Da seid ihr ja endlich, warum brennt das Ding noch nicht?“ Die Kurzgeschorenen ließen sich von den Bürgern Bier und Kümmerling spendieren, drehten danach noch eine Runde ums Heim und zogen ab nach Friedersdorf. Als spät in der Nacht die Sirenen ertönten, fuhren sie erneut nach Dolgenbrodt. „Das ist ja gespenstisch“, entfuhr es dem Richter Przybilla. „Ein ganzes Dorf wartet auf die Brandstifter.“

Wer die Leute waren, die die Skinheads so herzlich begrüßten, ist unbekannt. Da drängt sich die Frage auf, warum nicht stärker geforscht wurde im Dorf. Staatsanwalt Lenz, der sich bereits im Sachsenhausen-Prozeß den Vorwurf schlechter Ermittlungen gefallen lassen mußte, blamierte sich damit, mit einem Papier zu argumentieren, das ihm Minuten vorher von einer Journalistin überreicht wurde und das J.s Verbindung zur rechtsradikalen Szene dokumentiert. Später gab er sich der Lächerlichkeit preis, als er die Schuhe von Skinhead Schmidt in gespielter Wut als „Waffen“ titulierte. Leider handelte es sich um unschuldige Doc Marten's.

Lenz beteuert, viele Befragungen im Dorf durchgeführt zu haben. Doch reicht es wirklich, wenn Oste behauptet, von nichts zu wissen, nichts gehört und schon gar nicht bezahlt zu haben? Warum wird dessen Konto nicht überprüft? Warum wird er nicht gefragt, warum er in der Tatnacht seine Kinder zum Schwiegervater gebracht hat? Als Oste vor Gericht aussagte, hatte Staatsanwalt Lenz keine Fragen. Dorfskinhead Marko Schmidt behauptet, zum Tatzeitpunkt im Hause seiner Eltern geschlafen zu haben. Seine Freundin Doreen Lewicki bezeugt dies. Als die Sirenen ertönten, hätten sie weitergeschlafen, weil sie sich nicht für Brände interessierten. Bei der Bürgerversammlung noch war Schmidt mit starken Sprüchen gegen das Asylbewerberheim aufgefallen. Schmidt bestätigt dies, seine Freundin, die wie Schmidt der rechtsradikalen Szene zuzuordnen ist, sagt, er hätte sich nie geäußert. Wie glaubwürdig ist eine solche Zeugin? Schmidts Mutter, die als Angestellte im Blumengeschäft von Oste arbeitet, bestätigt, daß beide geschlafen hätten.

Auch Paschke und Otto haben Alibis – über ihre Freundinnen. „Wir kennen das Problem“, sagt Richter Przybilla. Auch beim Überfall auf eine Gaststätte in Wolzig hat Paschkes Freundin das Alibi geliefert.

Warum jedoch wird dem Hinweis nicht nachgegangen, daß wenige Tage vor dem Brand ein weißer Jeep, wie ihn Ernst Otto fährt, gesehen wurde? Er soll am Asylbewerberheim vorbeigefahren und schließlich auf dem Gelände des Fischers Schulz geparkt worden sein. Auf Schulz' Grundstück wehte noch Monate nach dem Brand die Reichs-Seekriegsflagge.

Überraschen lassen mußte sich Staatsanwalt Lenz zudem von der Aussage eines Spurensicherers: Ihn hätte am Morgen nach dem Brand ein junger Mann angesprochen: „Ich könnte sagen, wer hier im Dorf Geld gesammelt hat, damit das angesteckt wird. Aber ich sage es nicht.“ Der Beamte erfuhr, daß es sich bei dem Mann um einen Anführer der Königs Wusterhausener Rechtsradikalen handelt und sich Kollegen darum kümmern wollten. Was offenbar nicht geschah.

In Dolgenbrodt indes sieht man optimistisch in die Zukunft. Keiner kann beweisen, daß einer der 260 Dörfler etwas mit dem Brand zu tun hat. „Wir erhoffen uns eine Rehabilitierung durch den Prozeß“, sagt Bürgermeister Pfannenschwarz. Ausländerfeindlich sei hier niemand, man habe nur Angst gehabt um die Sicherheit der Asylbewerber. Da spottet die „Wochenpost“: „Es klingt, als hätte in Dolgenbrodt der erste ausländerfreundliche Anschlag Deutschlands stattgefunden.“

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