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Das Ende der Neugierde

■ Im Prenzlauer Berg nichts Neues: In Zeiten der Ernüchterung leben die hinzugezogenen Westler vor sich hin und die Ostler ziehen sich ins eigene Milieu zurück

„Eine wahrhaft literarische Aufgabe“, meint ein Kneipengänger in der Kollwitzstraße, „wäre, die Geschichte umzuschreiben. Der Osten hat den Westen überrannt, mit all seinen Begriffen, Gerüchen und sonderbaren Eigenheiten, und nun wundern sich alle, wo sie auf einmal herkommt, die West-Identität.“ Daß solches nur aus dem Munde eines Wessis kommen kann, stellt da sein Gegenüber fest. Andernfalls hätte sein Vorredner nämlich gewußt, daß es eine Ost-Identität bereits vor dem Mauerfall gegeben habe. Mißtrauen statt Verständigung, Salz auf Wunden, die doch eigentlich zusammenwachsen sollten und nun bestenfalls vernarben. Alltag im Prenzlauer Berg?

„Gemeinsam leben – mit Ausländern und Wessis!“ stand in anspruchsvollen Lettern auf einem Transparent, als im November 1992 im Lustgarten für das Recht auf Asyl demonstriert wurde. Drei Jahre davor war die Mauer gefallen, heute ist ihr Schatten größer denn je und von Zusammenwachsen ist weniger die Rede als von Verlust. Selbst im Prenzlauer Berg, für viele Westberliner der Inbegriff des Aufbruchs Ost, gehen die vereinten Berliner wieder getrennte Wege. „Obwohl immer mehr Westler im Prenzlauer Berg wohnen, habe ich zu ihnen keinen Kontakt mehr, weder privat noch politisch“, sagt Dirk, Mitarbeiter der Umweltbibliothek. Vor zwei Jahren noch sei das anders gewesen. „Doch die Neugierde ist weg“, sagt er. „Man kennt sich nun, die Erwartungen aneinander wurden von der Realität eingeholt, und nach einer solchen Ernüchterung hat man einfach keine Lust mehr.“ Ost- Identität ist für ihn kein Schlagwort, sondern eine Haltung, die es zu bewahren gelte. „Bei uns spielte Zeit keine Rolle“, sagt er, „wenn man jemanden nach fünf Jahren wieder getroffen hat, konnte man sofort wieder anknüpfen. Heute ist alles schnellebig und beliebig.“

Daß der Alltag im Osten anders als im Westen ein von den Menschen dominierter Alltag war, davon ist auch Falco, seit dreizehn Jahren im Prenzlauer Berg wohnhaft, überzeugt. Dazu gehöre aber auch die Bereitschaft, sich aufeinander einzustellen. Falco spricht den meisten Westlern dieses Interesse ab: „Die wollen nicht lernen, die kommen eben als Sieger, quer durch alle Schichten und politische Auffassungen. Vielleicht liegt es daran“, meint er, „daß sie sich nicht auf eine völlig neue und fremde Welt einstellen müssen.“

Während für viele aus dem Westen der Prenzlauer Berg mit dem Kreuzberg der Frühachtziger zu vergleichen ist, steht man im Osten dem vermeintlich toleranten Nebeneinander verschiedener Welten wieder skeptischer gegenüber. „Die Kunst, einander zuzuhören und sich gegenseitig ernst zu nehmen“ werde auch von den Linken aus dem Westen bedroht, meint Wolfram Kempe, nach der Wende Mitarbeiter der Ost-Zeitschrift Die Andere. Am schlimmsten, schimpft er, seien aber die Touristen. „Wenn sich einer in der Kneipe neben dir breitmacht und ohne zu fragen öffentlichen Raum einnimmt, mit einer Selbstverständlichkeit, als könnte es sich nur um den seinen handeln, dann vielleicht noch im breitesten Schwäbisch anfängt, dir die Welt im allgemeinen und den Osten im besonderen zu erklären, dann ist das nicht anders als in den achtziger Jahren in Ungarn am Balaton.“ Diejenigen, meint Kempe, die eine solche „Kolonialherrenmentalität“ nicht an den Tag legten, die akzeptierten, daß das hier für sie Ausland sei, seien die Ausnahme und zumeist keine Touristen, sondern Westler, die hierhergezogen seien und, wenn sie sich schon nicht auf das Neue einstellen wollten, so doch ein Mindestmaß an Spielregeln einhalten würden.

Die Grenzen sind gesteckt. Die Wessis haben die Gegend um den Wasserturm erobert, die Ostler ziehen sich ins eigene Milieu zurück. Zum Beispiel ins Café „Entweder Oder“ in der Oderberger Straße. Zwar habe sie mit Westlern noch keine schlechten Erfahrungen gemacht, sagt Kerstin, das mag aber auch daran liegen, daß in der Oderberger Straße die kulturelle und soziale Hegemonie eindeutig bei den Ostlern liege. „Das verkraftet dann schon einen bestimmten Prozentsatz Wessis“, meint auch ihr Freund Leon. Dennoch hat auch er seine Vorbehalte: „Mit einem Westgermanen kannst du nicht am Tisch sitzen und nix sagen, das hält der nicht aus, da wird der unruhig und zappelig. Bei dem muß immer was passieren.“ Für Leon eine zwangsläufige Haltung. „Wer ständig unter Erfolgsdruck steht, kann eben nicht zu sich selbst finden“, beklagt er. Nähme man den Begriff der Vereinigung ernst, faßt sein Tischnachbar zusammen, dürfe man nicht Fremder in der eigenen Stadt sein. Dann müßten all die positiven Werte aus dem Osten auch vom Westen übernommen werden. Daß jedoch genau das Gegenteil der Fall ist, weiß auch er. „Das schlimmste ist“, sagt er, „wenn nun auch die Leute hier so langsam die kalte Logik des Westens verinnerlichen, das ist viel bedrohlicher als die Westler, die hierherkommen.“ Uwe Rada

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