Eins zu elf gegen die Europäische Union

■ Der Gipfel von Korfu brachte neuen Streit

Korfu (taz) – Statt zur Nachfolgerkür kam es beim Gipfel der Europäischen Union auf Korfu zum Personalgezerre. Der britische Regierungschef John Major stimmte nach langen Debatten als einziger gegen den Belgier Jean-Luc Dehaene als künftigen Kommissionspräsidenten und sorgte so dafür, daß die EU nun in aller Eile nach einer neuen Lösung für ihren Spitzenposten suchen muß. Zeit ist bis zum 15. Juli – dann soll bei einem Sondergipfel in Brüssel entweder ein Kompromißkandidat gefunden oder London doch noch von den Verdiensten Dehaenes überzeugt werden.

Die Bundesregierung, die ab Freitag den Ratsvorsitz innehat, will an Dehaene festhalten, erklärte Bundesaußenminister Klaus Kinkel bereits gestern. Zugleich setzte er sich gegen den Vorwurf Großbritanniens und mehrerer kleiner EU-Mitgliedsstaaten zur Wehr, Deutschland und Frankreich hätten versucht, die anderen Staaten mit der Bewerbung Dehaenes vor vollendete Tatsachen zu stellen. Bundeskanzler Kohl behauptete: „Da haben sich viele Leute in Bewegung gesetzt. Ich war hier wirklich nicht federführend in Europa.“ Im Rahmen einer Rundreise durch die EU-Hauptstädte wird Kinkel am Donnerstag in London erwartet, wo er einen Vermittlungsversuch starten soll.

Ihre übrigen Hausaufgaben erledigten die zwölf Staats- und Regierungschef auf Korfu erwartungsgemäß. Sie unterzeichneten ein Partnerschaftsabkommen mit Moskau, feierten die von der EU längst beschlossene Erweiterung der Gemeinschaft um Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen auf 16 Mitglieder, besiegelten eine Hilfe in Höhe von einer Milliarde Mark an die Ukraine, damit die ihre maroden Tschernobyl-AKWs stillegt, und bewilligten elf aufwendige Verkehrsvorhaben. Diese „Transeuropäischen Netze“ sollen Europa noch in diesem Jahrzehnt mit weiteren Hochgeschwindigkeitstrassen durchziehen, über deren Finanzierung allerdings noch gestritten wird. Seiten 3, 10 und 11