piwik no script img

Um die Existenz muß immer wieder gekämpft werden

■ Zwanzig Jahre feministische Literatur: Der Orlanda Frauenverlag feiert Geburtstag / Das Geld ist knapp, und die Themen haben sich verändert

„Es gibt nach wie vor Themen, die trotz Frauenreihen bei den Großverlagen keine Chance haben“, sagt Ika Hügel und ist sich sicher: „Orlanda wird nach wie vor gebraucht.“ Seit 20 Jahren versorgt der feministische Frauenverlag aus der Schöneberger Großgörschenstraße die Bewegung mit Literatur – und hat sich mit ihr verändert.

Auch heute ist der Anspruch noch da: Orlanda will „nicht über die Bedürfnisse und Interessen der Frauenbewegung hinweg produzieren“, sondern „Tabuthemen ansprechen, den (selbst-)kritischen Austausch von Frauen fördern und feministische Theorie und Literatur einem breiten Lesepublikum zugänglich machen“, wie es in ihrem Geburtstagskatalog heißt. Doch die Themen sind heute andere: Waren Mitte der Siebziger Gewalt gegen Frauen und sexistische Sozialisation, Sexualität und Gesundheit zu brechende Tabus, halten die Orlandas heute die Frauen mit Publikationen über Rassismus und Antisemitismus, über sexuellen Mißbrauch und Gewalt in lesbischen Beziehungen in Bewegung. Daß aus ihrem Raubnachdruck von Mathilde Vaertings „Frauenstaat und Männerstaat“ aus dem Jahre 1921 ein richtiger Verlag mit zwölf bis 15 Veröffentlichungen jährlich werden sollte, daran dachte keine der Frauen, die 1974 dieses Buch im „Frauenselbstverlag“ in ihrem WG- Wohnzimmer produzierten. Damals hatten engagierte Frauen mit feministischen Themen keine Chance auf Veröffentlichungen bei etablierten Verlagen. Die Erfahrungen der entstehenden Frauenprojekte wie die des Feministischen FrauenGesundheitsZentrums (FFGZ) und des 1. Berliner Frauenhauses bestimmten die folgenden Publikationen des „sub rosa“ Frauenverlags, wie Orlanda damals hieß. Der Durchbruch gelang acht Jahre später mit „Das bestgehütete Geheimnis: Sexueller Kindesmißbrauch“. „Sexueller Mißbrauch war vorher ein Tabuthema“, erinnert sich Orlandafrau Ika Hügel, „und plötzlich interessierten sich die Medien dafür.“

Auch bei anderen Themen war der Orlanda Frauenverlag, dessen neuer Name von Virginia Woolfs „Orlando“ abgeleitet ist, Vorreiter: Schon 1983, als Rassismus für die bundesdeutsche Frauenbewegung noch ein Fremdwort war, veröffentlichte er dazu erste Texte der Afro-Amerikanerin Audre Lorde. Drei Jahre später folgte „Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“, für Ika Hügel eins ihrer wichtigsten Bücher: „,Farbe bekennen‘ hat die ganze afro-deutsche Bewegung beeinflußt und wesentlich zur Gründung der Initiative schwarzer Deutscher beigetragen.“

Doch Orlanda will den politischen Anspruch nicht nur in ihren Veröffentlichungen umsetzen: In dem Frauenverlag arbeiten schwarze und weiße Frauen zusammen; für alle gibt es Einheitslohn und gleiches Recht bei wichtigen Entscheidungen über Bücher.

Trotz etlicher Erfolgsbücher steht es um die Finanzen eher schlecht: „Wir haben immer an der finanziellen Grenze gearbeitet, aber statt besser ist es in den letzten Jahren wieder härter geworden“, klagt Ika Hügel. Inzwischen haben viele Großverlage Frauenreihen, die Autorinnen mehr zahlen und ihre Bücher billiger auf den Markt bringen. Deshalb drängte auch Orlanda auf den boomenden Frauenkrimimarkt: „,Katzensprung‘ beispielsweise hat uns sehr geholfen.“ Trotz des saftigen Preises von 24 Mark haben die Orlandafrauen den Krimi der Kanadierin Shirley Shia fast 30.000mal verkauft.

Mit solchen Erfolgen werden Sachbücher beispielsweise über feministische Theorie finanziert, die zunächst nur eine Auflage von drei- bis sechstausend haben. Verkaufsschlager sind ganz andere: „Naturheilkunde in der Gynäkologie“ beispielsweise oder auch ein Frauen-Computerbuch. Doch auch die anderen Veröffentlichungen sind Ika Hügel wichtig: „Wenn wir Bücher, die wir politisch richtig finden, nicht mehr machen können, dann sollten wir aufhören.“ Sabine am Orde

Zum 20. Geburtstag diskutieren heute um 19 Uhr die Orlanda-Autorinnen Gloria I. Joseph, Marion Kraft, Christina Thürmer-Rohr und Serin Tekeli die Frage „Was bringen wir der Zukunft? Neue Gemeinschaften oder Individualisierung?“ im Haus der Kulturen der Welt. Am Samstag gibt es ab 20 Uhr ein Fest in der Kulturbrauerei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen