■ Der Staatsbesucher und die Demonstranten: Politiker versagen, Bürgerrechtler verjagen ... Li Peng
Es ist schon reichlich darüber spekuliert worden, was Kanzler Kohl im Gespräch mit dem chinesischen Menschenschlächter Li Peng in bezug auf die Menschenrechte nun gesagt hat. Jetzt wissen wir es. Wenn 300 Demonstranten am Brandenburger Tor – die Li Peng noch nicht einmal zu Gesicht bekam – zum Abbruch seines Staatsbesuchs in Berlin führen, kann es nicht so eindeutig gewesen sein. Wenn nur einige Worte von Bernd Kauffmann, dem Präsidenten der Stiftung Weimarer Klassik im Goethe-Haus zu Weimar, Li Peng zur Flucht nach München treiben, kann es überhaupt nicht eindeutig gewesen ein. Die Demonstrationen aus Anlaß von Li Pengs Besuch waren allesamt klein, der Protest dürftig. Doch den Demonstranten gebührt die Ehre, das getan zu haben, was eigentlich Sache der Politiker gewesen wäre: nicht die Moneten, sondern die Menschenrechte zum Thema des Besuchs zu machen.
Li Peng scheint über ein ungewöhnliches Gemüt zu verfügen. Blut läßt ihn kalt, ein paar Pappschilder bringen ihn in Wallung. Dem chinesischen Ministerpräsidenten gilt dennoch unser Dank: Weil er aus der Demonstration eine Staatsaffaire gemacht hat, können wir nun sicher sein, daß Protest nicht verpufft, sondern daß nun tatsächlich die Hunderttausende in Arbeitslagern, die politischen Prozesse gegen Demokraten, die Massenhinrichtungen und die Morde an Oppositionellen im Mittelpunkt des Interesses stehen. In China wird die erfolgreiche Aktion nichts verändern können, doch in Deutschland hat sie einiges geklärt: Wenn bis zum Mittwoch deutsche Wirtschaftsführer noch unbeeindruckt vom „Wandel durch Annäherung“ faseln konnten, so werden sie seit gestern ein paar Argumente mehr benötigen, um ihr Engagement in China zu rechtfertigen. Wenn deutsche Politiker das Thema Menschenrechte bisher diplomatisch ausklammerten, so wird das nun nicht mehr ganz so einfach sein.
Demonstrationen, so der bis gestern in hiesigen Landen gültige Lehrsatz, ändern nicht viel. Eine kleine Gruppe Demonstranten am Brandenburger Tor hat gezeigt, daß dieser Satz nicht stimmt. Die Bürgerrechtler haben sich einfach an ihre eigene Geschichte erinnert. Als Egon Krenz kurz nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens die chinesische Führung in Peking hofierte, haben sie dagegen protestiert. Damals war ihnen die Achtung der bundesdeutschen Regierung gewiß. Heute hofieren bundesdeutsche Politiker den Verantwortlichen für die blutige Niederschlagung der Demokratie in China. Wo, fragt sich da der naive Beobachter, ist da der Unterschied? Dennoch ist es nicht so sicher, daß der Bundeskanzler den Bürgerrechtlern morgen ein Glückwunschtelegramm zuschickt.
Bundespräsident Roman Herzog hat die ehemaligen DDR-Bürger dazu aufgefordert, ihre Erfahrungen in das vereinigte Deutschland einzubringen.
Bitte schön! Klaus Hillenbrand
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