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Ceaușescu lebt, und Bukarest stirbt

Während der Palast des Diktators zu einem Parlamentsgebäude umgebaut wird, ist für die Verbesserung der Infrastruktur der rumänischen Metropole kein Geld da: Die Stadt versinkt in Dreck und Müll  ■ Von Keno Verseck

„Es war apokalyptisch. Mit seiner teuflischen Kraft machte Ceaușescu an einem Tag eine Handbewegung, und am zweiten Tag existierte ein ganzes Viertel nicht mehr. Die Leute kamen von der Arbeit und sahen, wie ihre Häuser niedergewalzt wurden. Manche versuchten zu retten, was zu retten war, andere, die ihr ganzes Leben dort gewohnt hatten, brachten sich um. Im Jahre 1985 war das Zentrum von Bukarest leer. Es sah aus wie ein riesiger Flugplatz. Später, als der Palast und einige neue Bauten schon standen, fand Ceaușescu, der Boulevard sei zu kurz. Und er gab Befehl, noch um zwei Kilometer zu verlängern.“ Gheorghe Leahu, Architekt

Nicht weit vom Palast Ceaușescus entfernt standen früher auf einem Hügel die Kirche des Fürsten Mihai Voda und einige Klosteranlagen. Sie waren weithin zu sehen. Weil der Diktator dieses Gelände für den Palast und die ihn umgebenden Boulevards benötigte, ließ er die Kirche beseitigen, die Klosterbauten niederreißen und den Hügel abtragen. An seiner Stelle verläuft heute der Boulevard der Freiheit. Er trifft im rechten Winkel auf das in Beton gebettete Flüßchen Dimboviţa und endet da wie an einem Abgrund. Auf Verkehrsplanung mußten die Architekten Ceaușescus keine Rücksicht nehmen. Denn die ganze Gegend war eine verbotene Zone, sogar für Fußgänger. Deshalb steht die nächste Brücke erst ein paar hundert Meter weiter.

Die Dimboviţa ist ein Fluß ohne Wasser, dieses wird wegen des ständigen Wassermangels vor der Stadt aufgestaut. Am Ufer des mit Unrat gefüllten Betonbettes stehen einige halbfertige Großbauten aus der Epoche des Diktators. Die meisten Bukarester, die in der Eile und der Amnesie einer Nachkriegszeit zu leben scheinen, wissen nicht mehr, daß sich hinter diesen triumphalen Bauten der heutige Standort der Kirche des Mihai Voda befindet. Ihre 6.000 Tonnen bewegten Ceaușescus Ingenieure auf Schienen 289 Meter weit. Seit neun Jahren ist die zweitälteste Kirche Bukarests nun geschlossen. Um sie herum stehen Blechbaracken für die Arbeiter aus der Provinz, in Schutt und Müllgruben hausen Ratten. Um die Kirche wieder an ihren alten Platz zu bringen, müßte wahrscheinlich einer der Großbauten abgerissen werden.

Aber in sie wollen Ministerien, Institutionen und Staatsunternehmen einziehen. Jahrelang war die Baustelle ein verwaister Ort. Jetzt werden die Arbeiten fortgeführt. Arbeiterinnen kochen auf offenem Feuer Teer in riesigen Kesseln, aus denen schwarze Rauchschwaden aufsteigen, Arbeiter dirigieren wild lärmend im Schlamm steckende Lastwagen.

Überall baut der Staat weiter, was nach dem Sturz des Diktators als gigantisches Fragment liegenblieb. Genau vor dem Palast des Diktators ist der Boulevard des Diktators auf der Länge von einigen hundert Metern schon fertig. Boulevard des Sozialismus hieß die überdimensionale Schneise, heute trägt sie den Namen Boulevard der Einheit. Ihr Ende verschwimmt, viereinhalb Kilometer weiter, an trüben Tagen im Nebel, an anderen im Smog.

Je weiter sich der Besucher vom Palast entfernt, desto trostloser wird es. Genau auf der Hälfte des Boulevards steht die Nationalbibliothek. Abgeblättert prangt an ihrer Fassade die Jahreszahl 1989. Alle Scheiben sind eingeworfen. Die Ruine dient Stadtstreichern und Straßenhunden als Nachtasyl. Dahinter liegen riesige Flächen brach, und noch weiter hinten ragen an die hundert Baukräne in die Höhe. Halbfertige und fertige Blöcke stehen wahllos durcheinander. Die Menschen leben dort in einer Welt aus Abfall, Sand und Schutt. Nur durch den brüchigen Asphalt wächst schon Gras.

„Ceaușescu verwüstete Bukarest im Frieden, andere Städte haben Vergleichbares nur im Krieg erfahren“, sagt der Architekt Gheorghe Leahu. Nach dem Erdbeben von 1977 ließ der Diktator den Teil der Altstadt, der am wenigsten beschädigt worden war, abreißen – ein Achtel der gesamten Stadt – und ordnete die Errichtung eines neuen Zentrums an. Leahu mußte Bauten gegenüber vom Palast planen. Seine Entwürfe, meint er, seien immer anders ausgeführt worden. Leahu hat ein Buch über das alte Bukarester Handelsviertel geschrieben, mit Aquarellen, von ihm selbst gezeichnet. Nun arbeitet er an einem Buch über die zerstörte Stadt. „Vielleicht“, sagt er ohne Überzeugung, „wird es einer späteren Generation gelingen, sie wieder herzustellen.“

In Bukarest steht das größte Haus Europas und, nach dem Pentagon, das zweitgrößte der Welt: Ceaușescus Palast. In seiner riesigen leeren Eingangshalle empfängt ein Führer die Besucher und sagt sogleich, daß beim Bau nur rumänische Materialien verwendet wurden. Irgendwo weit hinten hängt eine rumänische Fahne, ein Soldat bewacht sie. Der Führer hat vergessen, wie viele Räume es gibt, einige tausend, schätzt er.

Er führt durch die Säulengänge und Säle des Hauses. Gänge, so breit wie Boulevards, mit meterdicken Säulen. In düsteren Lichtschein getauchte Gewölbe, gigantische Gruften. Die Säle gleichen Kathedralen, die Besucher verlieren sich in der Weite. An den Decken hängen tonnenschwere Leuchter, die Böden schmücken Marmormosaike, Hektar um Hektar. Die Wände quellen über von Gold und Stuck. Möbel gibt es keine. Die Palastdirektion hat sie unter der Hand an Ministerien und Hotels verkauft.

Das Gebäude breitet sich auf einem viertel Quadratkilometer aus. Es ist 84 Meter hoch. Auf seiner Baustelle arbeiteten einst 17.000 Menschen. Ihr Schutz spielte keine Rolle. Mehrere hundert Arbeiter kamen um, die Behörden schweigen darüber bis heute. „Er ist das Ergebnis einer nationalen Anstrengung“, steht in einer 1990 erschienenen Broschüre über den Palast, den Ceaușescu „Haus des Volkes“ nannte. Das sagt auch Anca Petrescu, die damalige und heutige Chefarchitektin des Palastes. Sie fügt hinzu, der Platz, auf dem das Gebäude stehe, sei unbebaut gewesen; ihr täten bloß die Leute leid, deren Häuser für den Bau des Boulevards abgerissen wurden.

In den Mauern dieses Palastes, in den Blocks auf dem Boulevard, auf seinem Pflaster ist die Tragödie der Stadt, überhaupt die des ganzen Landes zu Stein geworden. Ganz unmetaphorisch. „Alle Ressourcen“, sagt Mariana Celac, die Vizepräsidentin des Architektenverbandes, „wurden in diese megalomane Operation gepumpt. Deshalb waren die Krankenhäuser, die Schulen und die Wohnungen kalt. Die Gesellschaft erhielt keinerlei Gelder, Aufmerksamkeit, Gefühle mehr. Jetzt sehen wir ihre letzte Schicht: die Straßenkinder, die Anästhesie des zivilen Gefühls.“

An der Operation wird Bukarest nicht so schnell genesen. Die Bausubstanz der Altstadt bedürfte, um sie zu erhalten, einer grundlegenden Rekonstruktion. Es gibt Wichtigeres: Ein Drittel der Einwohner muß ohne fließend Wasser auskommen, und das schon existierende Leitungsnetz droht zusammenzubrechen. Millionen Ratten bevölkern die Stadt. Das Hygieneamt warnt vor Cholera. Nahverkehr und Müllabfuhr arbeiten notdürftig, die Luftverschmutzung ist katastrophal. Die Stadt erhält von den Einnahmen, die sie an den Staat abführt, fünf bis acht Prozent als Budget. Investitionen in die Stadterneuerung tendieren gegen null. „Bukarest ist am Ende“, sagt Constantin Hariton, der Leiter der Architekturabteilung in der Bürgermeisterei.

Die Bukarester haben vergessen, welches Leid der Diktator über sie brachte. Die Palastdirektion veranstaltete 1990 eine Meinungsumfrage. Die meisten Menschen wollten, daß das „Haus des Volkes“ erhalten bleibt. Das Parlament wird demnächst einziehen, und deshalb heißt es seit kurzem „Haus des Parlamentes“. Die meisten Abgeordneten stimmen der Meinung eines Kollegen zu, der sagt, der Palast sei ein Meisterwerk rumänischer Baukunst, eine der exzellentesten Synthesen aus Technik, Architektur und Ästhetik in der ganzen Welt.

Und so wird der Palast vielfältig genutzt: ein Kongreßzentrum entsteht, das Verfassungsgericht ist schon eingezogen. Der parlamentarische Ausschuß für Menschenrechte tagt in einem der Säle. Wenn die Mitglieder Pause haben, müssen sie fünfzehn Minuten gehen, um zur Kantine zu gelangen. Die Umbauten im Gebäude genießen staatliche Priorität. Allein die Unterhaltung kostet den Staat jährlich 30 Millionen Dollar – mehr als ein Drittel der Summe, die er der Stadt 1993 als Budget zahlte.

Vor dem Palast wurden – in Bukarest einmalig – anläßlich eines großen internationalen Kongresses vor zwei Monaten Bäume gepflanzt, Straßenkinder, Bettler und Behinderte aus der Stadt vertrieben. In die Bauten gegenüber sind schon sechs Ministerien eingezogen. Andere werden folgen. Die räumliche Gewaltenteilung verschwindet. Bekannte westliche Unternehmen haben auf dem Boulevard Büro- und Geschäftsräume gemietet. Die Preise sind die höchsten der Stadt: Die Nähe zum politischen Zentrum ist den Firmen wichtig und teuer.

Mariana Celac hat die Abgeordneten des Parlamentes versucht zu überzeugen, nicht in den Palast einzuziehen. Eines ihrer Argumente lautete: Das Gebäude muß von einem Objekt, das Ressourcen frißt, zu einem Objekt werden, das Ressourcen produziert. Sie schlug vor, es Unternehmen, Schulen, Bibliotheken zu überlassen. Vergeblich. Sogar die demokratische Opposition stimmte für den Einzug. Mariana Celac und ihre Kollegen haben nun einen neuen Plan. Anläßlich ihrer Einweihung vor 400 Jahren wollen sie die Kirche des Mihai Voda in diesem Jahr an ihren alten Platz zurückversetzen.

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