: Der CDU sympathisch
Rot-Grün in Sachsen-Anhalt ist beschlossen. Wie lange es hält, ist eine andere Frage ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich
Sekt und Selters gab es gestern, als die Spitzen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Magdeburger Landtag das fertige Koalitionspapier unterschrieben. Zwar müssen heute noch die Sonderparteitage beider Koalitionspartner das Verhandlungsergebnis absegnen – doch das scheint nur noch eine Formsache. Der designierte Ministerpräsident Reinhard Höppner kann sich schon jetzt mental auf seine neue Chefrolle vorbereiten, auch wenn er im künftigen Landtag nur auf 41 von 99 Abgeordneten fest zählen darf. Seine Minderheitsregierung muß sich wechselnde Mehrheiten suchen. Die Koalitionsvereinbarungen zeigen, daß die neue Regierung diese Mehrheiten nicht nur bei der PDS, sondern auch bei der CDU holen will. So könnte das von der CDU bemühte Gespenst einer „Volksfrontregierung“ unter stiller Beteiligung der PDS seine Funktion als Wählerschreck am Ende doch nicht erfüllen.
Nichts anderes hat Höppner immer wieder angekündigt, seit er in der Wahlnacht erstmals von der Möglichkeit einer rot-grünen Minderheitsregierung sprach. „Wir brauchen die PDS nicht“, dieser schon gebetsmühlenartig wiederholte Satz des Ministerpräsidenten in spe meint vor allem, daß er zu seiner Wahl die ungeliebten PDS- Stimmen nicht braucht. Denn wenn bei der konstituierenden Sitzung in der kommenden Woche weder er noch sein christdemokratischer Konkurent Christoph Bergner die absolute Mehrheit bekommen, reicht im dritten Wahlgang die einfache Mehrheit. Und die liegt nun mal bei Rot-Grün. Kaum zu erwarten, daß die PDS im dritten Wahlgang Christoph Bergner wählen wird.
Das während der Koalitionsverhandlungen häppchenweise vorgestellte Sachprogramm der rot-grünen Minderheitsregierung zeigt deutlich, daß Höppner nicht nur auf die PDS als Mehrheitsbeschaffer setzt. Insbesondere in der Wirtschaftspolitik setzt er ganz offensichtlich eher auf die Stimmen der Christdemokraten. Höppner versucht ganz offenkundig, der Union die angekündigte Rolle einer prinzipiellen Opposition so schwer wie möglich zu machen. Ohnehin hat die Union programmatisch schon einiges aus dem vor einem halben Jahr veröffentlichten wirtschaftspolitischen Programm der Sozis übernommen. Und davon floß viel auch in die Koalitionsvereinbarungen der SPD mit den Bündnisgrünen ein.
Ein Schwerpunkt der rot-grünen Wirtschaftspolitik wird die besondere Förderung des Mittelstandes und des Handwerks werden. Wirtschaftskreise also, die von der alten CDU/FDP-Landesregierung häufig recht stiefmütterlich behandelt wurden. Höppners Landesregierung will möglichst noch in diesem Jahr ein Eigenkapitalhilfeprogramm in Höhe von 200 Millionen Mark auflegen. Das Programm soll wie weiland der Marshallplan für Westeuropa funktionieren. Das Geld wird von einer Bank verwaltet und als zinsgünstiges, aber rückzahlbares Darlehen an die Betriebe ausgereicht. Durch Zins und Tilgung vermehrt es sich als revolvierender Fonds quasi ganz von allein. Bis zum zwölffachen des Landesanteils an diesem Programm, so glauben die Koalitionäre, lasse sich auf diesem Weg als kurzfristig verfügbare Kapitalhilfe für den Mittelstand mobilisieren. Hinzu kommt ein geplantes Mittelstandskonsolidierungsprogramm, das in den Koalitionsverhandlungen aber noch nicht bis ins letzte Detail ausformuliert ist.
Zudem sollen regionale Entwicklungsagenturen die Ansiedlungspolitik nach spezifischen Besonderheiten der Regionen vorantreiben. Auch bei der Absatzhilfe will die rot-grüne Minderheitsregierung dem Mittelstand kräftig unter die Arme greifen. Besondere Ost- und Außenhandelsagenturen sollen dem einheimischen Mittelstand die überregionalen Märkte erschließen.
Programmpunkte, für die auch die Christdemokraten bereits ein gerüttelt Maß an Sympathie bekundet haben. „Wenn Herr Höppner jetzt auch noch ein schlüssiges Finanzierungskonzept für diese Vorhaben anbietet, werden wir uns diesen Dingen nicht verschließen“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Jürgen Scharf bereits während der Koalitionsverhandlungen. Da ist es eigentlich nur noch ein kleiner Schönheitsfehler, daß dem künftigen Ministerpräsidenten sein designierter Wirtschaftsminister Volkhardt Uhlig auf der Zielgeraden absprang. Der Geschäftsführer des Landesverbandes der chemischen Industrie Ostdeutschlands ist nicht nur vergrätzt über die Pläne der rot-grünen Koalition zum Umbau der Chemieregion im Süden des Landes. Uhlig ist vor allen Dingen deshalb abgesprungen, weil er sich mit seinem Drängen auf eine Große Koalition mit der CDU bei Höppner nicht durchsetzen konnte. Das wirtschaftspolitische Programm der SPD, so Uhlig, hätte er in Verhandlungen mit der CDU aber Punkt für Punkt vertreten können.
Die Bündnisgrünen mußten in den Koalitionsverhandlungen teilweise mächtig Federn lassen. Statt der noch kürzlich geforderten mindestens zwei Regierungsressorts gab es letztlich nur das Umweltministerium, das allerdings mit erheblich erweiterten Kompetenzen ausgestattet wird. In den bisher beim Bauministerium angesiedelten Bereichen von Raumordnung und Landesentwicklung hat künftig die bündnisgrüne Umweltministerin Heidrun Heidecke das Sagen. Und sie koordiniert auch das interdisziplinäre Forschungsprogramm „Chemie 2000“, mit dem der Umbau der Chemieregion im Süden des Landes zu einer ökologisch verträglichen Industrie vorangetrieben werden soll. Öko-Controlling und Umweltverträglichkeitsprüfungen sollen unter Rot- Grün für die Chemieköche künftig zwingend vorgeschrieben werden, den Umbau der chemischen Industrie zu einer Kreislaufwirtschaft und die Entwicklung von Produkten der Naturstoffchemie wollen die Koalitionäre besonders fördern. Vorhaben also, bei denen sie kaum auf die Unterstützung der CDU rechnen können. Für deratige Vorhaben hat aber bereits die PDS, die gerade in Sachsen-Anhalt durch ihren Öko-Spezialisten Volker Lüderitz ein ausgeprägtes umweltpolitisches Profil entwickelt hat, breite Zustimmung signalisiert.
Offen bleibt dennoch, ob das rot-grüne Reformprojekt in Sachsen-Anhalt tatsächlich bis zum Ende der Legislaturperiode hält. Auch wenn es Höppner gelingt, wechselnde Mehrheiten im Magdeburger Landtag zusammenzubringen, kommt spätestens mit dem Haushalt 1995 eine Hürde auf die Minderheitsregierung zu, an der sie scheitern könnte. Weder die CDU noch die PDS werden als Stimmvieh für das rot-grüne Projekt herhalten wollen.
Für den Fall, daß die rot-grüne Minderheitsregierung scheitert, haben sich die Koalitionspartner schon mal vorsorglich darauf geeinigt, mit allen Mitteln Neuwahlen herbeizuführen. Damit eine große Koalition auch im zweiten Anlauf verhindert wird.
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