■ Sommer in Island: Ein Bäcker als Queen
Sechste Lieferung unseres Urlaubskorrespondenten
Die Bürgermeister der Gemeinden Stöovarffjörour und Reyoarfiroi von den isländischen Ostfjorden haben mir geantwortet. Keinesfalls sei man dabei, die Ortschaften umzubenennen wie Karl-Marx-Stadt in Chemnitz. Nein, der Falk-Plan „Map of Reykjavik and Island“ weist im Feld 5-O ganz erhebliche Fehler auf. Abgesehen davon, daß, wenn man mit dem Wort „Map“ beginnt, auch mit „Iceland“ enden sollte, sind ganze Orte vergessen, vertauscht und falsch geschrieben worden. Durch diese Schlampereien sind mir Mehrkosten in Höhe von 32.565 isländische Kronen (Taxifahrten, Reisekosten) entstanden. In einem Schreiben vom 9.8. habe ich gleich die Firma Falk gebeten, mir diesen Betrag zum gegenwärtigen Wechselkurs in D- Mark auf mein Berliner Konto zu überweisen.
Auch bei der Wörter-Kommission herrscht Unklarheit: „Wieso es für diesen Vogel im Isländischen zwei Wörter: ,bláigoa‘ und ,blámeisa‘, gibt, weiß ich leider auch nicht.“ Professor Baldur Jónsson von „islensk málstöo“, der isländischen Sprachberatungsstelle, ist ratlos. „Aber ich werde schauen, wo diese Wörter ihren Ursprung haben.“
„Könnte man nicht vielleicht noch ein drittes Wort erfinden?“, frage ich. „Es ist nicht so, daß unsere Kommission entscheidet, wie ein neues isländisches Wort zu heißen hat. Wir üben lediglich beratende Funktionen aus und helfen in problematischen Fällen weiter.“ Baldur Jónsson erklärt mir, daß es Sprachkommissionen für viele Bereiche gibt, für Physik beispielsweise, Biologie und Computertechnologie. Ich müßte mich an die ornithologische Kommission wenden. Da gebe es ein paar interessante Sprachphänomene. Die „Schneeammer“ heißt zum Beispiel im Winter „Snjótittlingur“ (Schneevögelchen) und im Sommer „Sólskriikja“ (Sonnensänger). Baldur Jónsson weist mich darauf hin, daß der Akzent über dem „i“ und „o“ bei „Sólskrikja“ keine Betonung, sondern eine Lautqualität bezeichnet. Der Buchstabe „ó“ wird wie „ou“ und „i“ wie „i“, „i“ dagegen wie „ie“ ausgesprochen. Zudem gelten „á“, „é“, „i“, „ó“, „ú“ und „ý“ als eigene Buchstaben. Insgesamt hat das isländische Alphabet 32 Buchstaben, wobei die Buchstaben „c“, „q“, „w“ und „z“ fehlen.
Islands derzeit populärster Popstar, Páll Óskar Hjálmtýsson (24), wohnt direkt neben mir, in der Nýlendugata 27. Seine neue CD, „Milljón á Mann“, wird in Kürze die Schallmauer von 5.000 verkauften Exemplaren durchbrochen haben und er damit eine goldene Schallplatte einheimsen. Ich frage ihn, ob er auch wie die meisten IsländerInnen Ahnenforschung betreibt. „Siehst du dieses Foto an der Wand? Das sind die Zwillinge Páll und Óskar mit ihrer Mutter, meiner Urgroßmutter. Ich bin nach ihnen benannt, und ich weiß, daß Óskar schwul war. In den alten Zeiten hatten hier alle Männer eine Frau und mindestens neun Kinder. Aber Óskar war nicht verheiratet. Er war Bäcker und – da bin ich mir sicher – eine total ausgeflippte Queen wie ich!“
„Deine neue CD ist wirklich zuckersüß!“
„Ich bin ein großer Fan von den Carpenters, Dusty Springfield und Dianne Warwick. Ich liebe Songschreiber wie Burt Bacherach.“
„Er schrieb viel für Marlene Dietrich ...“
„... und sie liebte ihn, genau wie ich. Deshalb ist auf meinem neuen Album auch der Song ,Never fall in love again‘. Wir wollen professionell, supersweet und glamourös sein! Das ist das, was Island jetzt so dringend braucht. Glamour und nochmals Glamour! Weg mit diesem schrecklichen skandinavischen Europop- Sound, der ist doch kein bißchen glamourös.“
„Könnte ich vielleicht noch ein Foto von dir machen?“ frage ich. Páll Óskar springt vom Sofa auf. „Ist das farbig oder schwarzweiß?“, will er wissen. „Eher schwarzweiß“, sage ich. „Gut, dann brauche ich mich nicht extra umzuziehen.“
Die Nächte werden länger, und der isländische Sommer nähert sich seinem Ende. Irgendwann im Dezember wird die Sonne um 11.00 Uhr aufgehen und um 15.30 Uhr untergehen. Wolfgang Müller
Fortsetzung folgt
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