: Die große Angst vorm Trillern
■ Mit dem größten Einsatz seit dem Mauerfall schützt die Berliner Polizei den Abschied der Alliierten und übt damit ihre neue Rolle als Hauptstadtpolizei
Mit einem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr, pünktlich um 21.30 Uhr am Brandenburger Tor, endet heute das Mammut- Abschiedsprogramm für die alliierten Westmächte in Berlin. Die Polizei begleitet dieses Finale mit dem aufwendigsten Einsatz seit der Vereinigung. Etwa 5.000 Polizisten sollen Berlins Mitte demonstrationsfrei halten, kein Trillerpfeifchen darf die Andacht stören.
Grund der Unruhe: Ein ad-hoc- Bündnis diverser Kleingruppen, die alle mit a wie antifaschistisch anfangen, fast alle PDS-nah sind und sich „AG Zapfenstreich“ nennen. „Sie marschieren wieder ...“, schreiben sie in ihrem Flugblatt und rufen auf, das „dreiste Spektakel der Bundeswehr nicht ungestört ablaufen“ zu lassen. Berlin werde als „neue alte Hauptstadt wieder zum Aufmarschplatz für reaktionäre Kräfte“.
Diese Demonstration wurde – nach einer aufgeregten Debatte im Abgeordnetenhaus – vor zwei Tagen vom Staatsschutz verboten. In einem Umkreis von 1.500 Metern rund um das Brandenburger Tor darf zeitgleich zur Abschiedszeremonie nicht protestiert werden. Verboten wurde damit auch die geplante Zwischenkundgebung der AG Zapfenstreich vor der „Zentralen Gedenkstätte der Bundesregierung gegen Krieg und Gewaltherrschaft Neue Wache“, denn sie liegt etwa 500 Meter vom Brandenburger Tor entfernt. An eine solche Bannmeile können sich selbst beinharte Berufsdemonstranten in Berlin nicht erinnern. Praktisch kommt dieser Radius einem Demonstrationsverbot in der gesamten Innenstadt gleich und liefert einen Vorgeschmack auf das, was der Regierungshauptstadt Berlin blühen wird. In der Begründung des Staatsschutzes heißt es vielversprechend, daß „Pfeifen, Grölen, Johlen, Schreien, Singen usw. eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit“ darstellen. An das Demoverbot wollen sich die Anti- Militaristen aber nicht halten. Aller Voraussicht nach werden aber heute abend mehr Sicherheitskräfte als Antifaschisten in Berlins Mitte zu sehen sein. Partei und Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen unterstützen den Demonstrationsaufruf nicht.
Ins Eiern kam hingegen der Bundesvorstand der PDS. Denn deren Mitglied und gleichzeitige Vorsitzende der „AG Junge GenossInnen in und bei der PDS“ Angelika Marquardt (22) ist federführend bei der AG Zapfenstreich dabei und hat den „Bundesvorstand der PDS“ als Mitverantwortlichen bei der geplanten Demonstration genannt. Dagegen protestierte wiederum Vorstandsmitglied Peter-Rudolf Zotl, obwohl auch er heftig gegen „einen Marsch der Bundeswehr durch das Brandenburger Tor“ ist.
Von diesem kann allerdings nicht die Rede sein. Kein Bundeswehrsoldat wird durch das Brandenburger Tor laufen, „ganz bewußt nicht“, betonte der Presseoffizier. Jegliche Assoziation an den Durchmarsch der Wehrmacht nach dem Frankreichfeldzug 1940 soll vermieden werden. Zwar gehören zum traditionellen (1813 reglementierten) Großen Zapfenstreich – den die Bundeswehr heute zum erstenmal in Berlin zelebrieren wird – Fackelträger, aber die werden über die beiden Seitenstraßen Clara-Zetkin- und Wilhelmstraße zum Ort des Geschehens marschieren.
Bewundern werden das Spektakel – Aufmarsch der Ehrenformation, Aufführung der Serenade, Trommelwirbel, Helm ab zum Gebet und Nationalhymne – etwa 17.000 Zuschauer. Die Eintrittskarten sind schon längst vergeben. Aus Sicherheitsgründen müssen selbst diese ausgesuchten Besucher schon drei Stunden vorher erscheinen. Die Wartezeit soll ihnen durch Platzkonzerte der Militärmusiker versüßt werden. Anita Kugler
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