: Minderheitenfreundlich wider Willen?
■ Polens gewendete Sozialdemokraten treten heute als Verteidiger der nationalen Minderheiten auf / So grenzt man sich politisch von den Christdemokraten ab
Offiziell stand die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei immer für die Achtung der Rechte der nationalen Minderheiten in Polen. Praktisch realisierte sie dabei eine Politik, für die sich keine nationalistische Partei hätte schämen müssen. Spätestens mit einer antisemitischen Kampagne 1968 zeigte sie ihr wahres Gesicht: Während sie die kleine jüdische Minderheit in Polen angriff, ließ sie die anderen Minderheiten in Ruhe. In den siebziger Jahren führte Edward Gierek als Erster Sekretär den Slogan von der „nationalen Einheit des polnischen Staates“ ein. Die aus Schlesien kommenden Parteisekretäre haben wahrscheinlich in der deutschen Minderheit die größte Bedrohung für diese Einheit gesehen und die Chance genutzt, einerseits an ausländische Kredite, andererseits an das Image eines demokratischen Polen zu kommen: Also erlaubte man polnischen Bürgern deutscher Herkunft fortan die Ausreise im Rahmen der Familienzusammenführung, was zugleich zu einer Schwächung der deutschen Minderheit in Polen führte.
Anders behandelte man die Weißrussen und Ukrainer, bei denen man auf Anpassung setzte. Der seit Kriegsende bestehenden griechisch-katholischen Kirche wurde eine eigene Rechtsform verweigert. Die Kulturvereine der Minderheiten wurden durch die Geheimdienste überwacht. Die Behörden achteten peinlich darauf, daß an der Spitze dieser Vereine sowohl zentral als auch in der Provinz stets vertrauenswürdige Parteimitglieder standen. Die Weißrussen wurden rücksichtsvoller behandelt, weil sie ein weniger ausgeprägtes Nationalbewußtsein hatten und überwiegend dem orthodoxen Patriarchen von Moskau unterstanden. Sie durften sogar Karriere in Verwaltung, Parteiapparat und Sicherheitsbehörden machen. Die Ukrainer hielt man dagegen für politisch unsichere Kantonisten, die dem Staat gegenüber illoyal seien.
Als 1990 die Sozialdemokratie der Republik Polen (SdRP) und – als Linksblock – das Bündnis der Demokratischen Linken entstanden, erbten beide diesen Ballast von ihrer Vorgängerpartei. Trotzdem gibt es keine direkte Kontinuität: Erstens, weil die SdRP gerne eine moderne sozialdemokratische Partei wäre und ihre Führer deshalb für eine Behandlung von Minderheiten nach internationalen Normen eintreten, auch wenn ihre Basis das nicht immer so gerne hört. Zweitens, weil sich die SdRP auf das Erbe der Zwischenkriegssozialisten beruft, die den nationalen Minderheiten kulturelle und territoriale Autonomie erkämpfen wollten. Drittens sind all jene extremen PVAP-Parteibonzen nicht in die SdRP eingetreten, die den nationalistischen Flügel ausmachten. Sie sind heute in nationalistischen Parteien. Und viertens machen heute die Gegner der SdRP im Lande häufig eine minderheitenfeindliche Politik, vor allem die Christnationalen und die Zentrumsallianz.
In dieser Situation finden sich die Sozialdemokraten fast automatisch auf der anderen Seite der Barrikade und verteidigen die entsprechende Minderheit. So entsteht die an sich paradoxe Lage, daß nicht eine christdemokratische Partei bei den Parlamentswahlen von 1993 und bei den diesjährigen Kommunalwahlen Vertreter nationaler Minderheiten auf ihre Liste genommen hat, sondern die ex- kommunistischen Sozialdemokraten und die Freiheitsunion. Auf der SdRP-Liste befanden sich Weißrussen, die Ukrainer erhielten ein Parlamentsmandat über die Liste der Freiheitsunion des ehemaligen Premierministers Mazowiecki. So entsteht eine Situation, in der die christdemokratische Bewegung in Polen besonders im Osten des Landes in nationalistisches Fahrwasser gerät und deshalb die früheren Kommunisten als Verteidiger der Minderheiten auftreten. Stanislaw Stepien, Przemysl
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