: Polyvinylchlorid: Der Zwang zum Umdenken
■ PVC setzt mehr Dioxin frei, als die Lobbys in ihren aufwendigen Anzeigen behaupten
PVC als Baustoff ist billig und gut recycelbar. Von einer Dioxingefahr kann keine Rede sein. So, mit „Recycling-Garantie und Dioxin-Entwarnung“, wirbt die Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt (AgPU) für den in Verruf geratenen Kunststoff.
Die AgPU, ein Lobbyverein der Kunststoffhersteller und -verarbeiter, titelt in ihrer Anzeigenserie zum Beispiel: Die „Untersuchung von Großbränden zwingt zum Umdenken“. Daß bei Großbränden aus PVC Dioxine freigesetzt würden, sei nichts als „ein hartnäckiges Vorurteil“. Nach dem Brand eines Kunststofflagers in Lengerich und bei anderen vergleichbaren Bränden seien im Boden der Umgebung nur sehr geringe Dioxinbelastungen gemessen worden. Daraus folgert die PVC- Lobby, daß das Polyvinylchlorid ruhigen Gewissens im Wohnungsbau eingesetzt werden könne – im Brandfall bestehe praktisch keine Dioxingefahr.
Falsch sind die Zahlen nicht, mit denen AgPU wirbt, aber sie erzählen nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich fanden sich im Boden in der Nähe solcher Großbrände nur vergleichsweise kleine Mengen des giftigsten aller Gifte. Anders aber sieht das etwa bei Pflanzen in der Umgebung aus, die in bis zu einem Kilometer Entfernung von der Brandstelle noch mit hundert bis achthundert Nanogramm Dioxin pro Kilogramm Trockenmasse belastet waren. Hundert Milliardstel Gramm, das klingt nach sehr wenig. Doch die US-amerikanische Umweltbehörde EPA hält das Seveso-Dioxin für derart gefährlich, daß sie im äußersten Fall eine tägliche Aufnahme von 0,006 Pikogramm (Billionstel Gramm) pro Kilogramm Köpergewicht für unschädlich hält.
Nun interessiert den Bewohner eines Wohnhauses, in dem es gebrannt hat, allerdings das Dioxin im Boden oder in den Pflanzen in seiner Nachbarschaft viel weniger als das Gift in der eigenen Wohnung. Wenn es dort brennt, setzen Kabelisolierungen, PVC-Fußbodenbeläge oder Computer Dioxine frei, die sich dann in der Wohnung selbst ablagern. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage des Bündnis- 90-Abgeordneten Klaus-Dieter Feige hervor.
Die Bundesregierung beruft sich auf Untersuchungen von Bundesgesundheitsamt und Umweltbundesamt. „Es wurde dabei zweifelsfrei festgestellt, daß bei der Verbrennung von chlororganischen Stoffen (zum Beispiel PVC) Dioxine und Furane entstehen.“ In Privatwohnungen lagerten sich nach Bränden an Wänden und Boden pro Quadratmeter bis zu 200 Nanogramm des Seveso-Giftes ab. In öffentlichen Gebäuden, in denen viel größere Mengen PVC eingesetzt werden, stieg die Verseuchung bis auf einige tausend Nanogramm.
Was die AgPU lieber ganz verschweigt, sind erst in letzter Zeit an die Öffentlichkeit gelangte Erkenntnisse, daß PVC nicht nur bei der Verbrennung, sondern schon bei der Herstellung die Umwelt mit Dioxinen verpestet. In Schlämmen, die bei der Reinigung von Produktionsabwässern entstehen, fanden sich bis zu 400.000 Nanogramm des Supergiftes pro Kilogramm Klärschlamm. Solche Produktionsabfälle tauchten dann zum Beispiel in einer nicht ausreichend abgedichteten Mülldeponie in Nordrhein-Westfalen wieder auf (die taz berichtete).
Das zweite Argument, das die AgPU für das PVC anführt, ist das Recycling. „Endlich!“ rufen einem die Anzeigen entgegen, „Recycling-Garantie für PVC im Wohnungsbau“. Auch hier handelt es sich nicht um eine Falschaussage.
Einige Betriebe bieten durchaus das Recycling von PVC-Fensterrahmen oder -Rohren an. Die Frage ist nur, wer da mitmacht. Denn die Recyclingkosten inklusive der Einsammlung des Altmaterials liegen bei etwa vier Mark pro Kilogramm – mit Recyclingmaterial läßt sich aber allenfalls eine Mark wieder herausholen, wie Andreas Ahrens vom Umweltinstitut Ökopol vorrechnet. Deshalb (und auch weil dank der Langlebigkeit der Produkte wenig Altmaterial anfällt) werden in der Realität, wie übrigens auch die AgPU in einer Broschüre einräumt, überwiegend Herstellungsreste recycelt. Während jährlich etwa 1,3 Millionen Tonnen PVC in der Bundesrepublik verarbeitet werden, gelangen etwas über 20.000 Tonnen ins Recycling.
Aufgrund der diversen Probleme, die PVC bei Herstellung und Entsorgung sowie im Brandfall aufwirft, haben einige Bundesländer, etwa Berlin, den Einsatz von PVC-Produkten im öffentlich geförderten Wohnungsbau untersagt. In Hessen machte die Landesregierung eine entsprechende Regelung auf Druck seitens der PVC- Industrie und der Gewerkschaften teilweise wieder rückgängig, sofern die verwendeten PVC-Bauteile einen bestimmten Anteil von recyceltem Kunststoff enthalten. Weder in Hessen noch in Berlin konnten jedoch die zuständigen Referatsleiter im Bauministerium beziehungsweise -senat die Rechnungen nachvollziehen, mit denen die AgPU für PVC wirbt, wonach durch den Einsatz von PVC auf dem Bau Milliarden von Mark eingespart werden könnten. Nicola Liebert
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