: Pitchen in Babelsberg
■ Beim dritten „Euro-Aim-Rendezvous“ auf dem Studiogelände trafen sich Filmproduzenten und Finanziers. Wie geht es weiter mit dem EU-Mediaprogramm?
Stell' dir vor, du brauchst fünf Millionen DM und hast dreißig Sekunden Zeit, dir bei dem, der sie hat, Gehör zu verschaffen. Die Kunst, diese dreißig Sekunden so effektiv wie möglich zu nutzen, heißt Pitchen. Euro Aim, der Produzenten-Service des Media-Programms der Europäischen Union, hat auf seiner diesjährigen Koproduktions-Messe den teilnehmenden Filmanbietern einen Pitcher als Berater zur Seite gestellt, weil diese Kunst in Europa noch relativ unbekannt ist. Julian Friedmann, Chef des Media-Autorenprojekts Pilots, bringt der Branche bei, wie sie sich besser verkauft. Schönster Beweis für das mangelnde Selbstbewußtsein der europäischen Filmindustrie ist der Slogan des britischen Filmplakats für den Überraschungserfolg der Saison, Mike Nichols' „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“: „America's smash hit comedy.“ Das Projekt- Buch des Euro-Aim-Rendezvous liest sich vielversprechend: Lars van Trier dreht einen Sarajevo- Thriller. Ein Zoowärter, eigentlich arbeitsloser Dichter, muß als letzter Hinterbliebener die Tiere vor serbischen Angriffen schützen und versteckt außerdem seine Liebste, eine bosnische Untergrundkämpferin. In den Hauptrollen John Malkovich und Juliette Binoche, Drehbeginn April 95. Bereits in Arbeit ist die französische Produktion „Les Milles“, eine Geschichte aus dem gleichnamigen NS-Internierungslager in der Provence zur Zeit der Vichy-Regierung, starring Philippe Noiret. Babelsberg firmiert als Koproduzent.
68 solcher europäischer Spielfilm-Projekte suchten am vergangenen Wochenende nach potentiellen Geldgebern unter insgesamt knapp 100 Finanziers: Koproduzenten, Banker, Verleiher, Filmförderungs- und Fernsehanstalten. Multipliziert ergaben das knapp 2.000 Geschäftstreffen in vier Tagen. Die von Euro Aim veranstaltete Kontaktbörse (Kostenpunkt zwei Millionen DM) versteht sich dabei ausdrücklich als Hilfe zur Selbsthilfe. Wer mit seinem Film zum „Rendezvous“ erscheint, muß bereits gearbeitet haben: Mindestens 30 Prozent der Finanzierung sollten gesichert sein, das Mindestbudget liegt bei 1,5 Millionen DM, der Durchschnittsetat bei 6 bis 8 Millionen. Dani Levy, einer der ganz wenigen Filmemacher, die als Teilnehmer des parallelen „Script Gathering“ in der Caligari-Halle aufkreuzten, beklagte sich zu Recht, daß Produzenten gerade in die jüngeren Filmemacher derzeit kaum Vertrauen setzten. Immerhin haben die Hälfte aller Filme, die an den Münchener Rendezvous 1992 und 1993 teilnahmen, mit Hilfe von Euro-Aim-Finanziers gefunden. Über die Zahl der schließlich in den Kinos gestarteten Produktionen besagt diese Erfolgsquote allerdings noch wenig. Denn immer noch, so Euro-Aim- Generalmanager Nicolas Steil, ist die Versorgermentalität unter den Produzenten verbreitet, wird nicht nur national, sondern auch international am Markt vorbeisubventioniert. Alleine in Deutschland wurden 1993 zwar 100 Filme produziert, aber weniger als ein Viertel kam ins Kino und nur drei über die nationalen Grenzen.
Nach Gatt 93 und dem Krieg mit Hollywood um Fernsehquoten und Schutzklauseln für das Kino als Kulturgut hat sich die Stimmung erstaunlich schnell gewandelt. Die neue Devise heißt: von Amerika lernen. Ende 95 läuft der Brüsseler Media-Vertrag zur Unterstützung der audiovisuellen Industrie aus, in Babelsberg diskutierte man über die Zukunft namens Media II. Die Stichworte lauten: Ende der Zersplitterung, mehr Kooperation, besseres Marketing. Beim jetzigen Media-Programm und seinen zahllosen Unterabteilungen wie Sources, dem European Script Funding, der Vertriebssförderung efdo etc., blickt längst keiner mehr durch; hinzu kommen die Filmfonds des Europarats wie Eurimages. Gremiendschungel und Bürokratiefilz fördern Spesenrittertum und einen verbeamteten Wasserkopf, vergleichbar der unübersichtlichen deutschen Länderfilmförderung. Stichwort Konzentration: Kein europäischer Kinofilm mit einem mittelgroßen Budget kann seine Kosten noch innerhalb der Landesgrenzen wieder einspielen, deshalb predigt Euro-Aim-Ehrenpräsident Dieter Geissler das Credo des think big. Europa brauche jährlich 15 bis 20 Großproduktionen, wenn es seine 10 Prozent bis 20 Prozent Marktanteil gegenüber den US-Filmen überhaupt noch behaupten will. Als Major-Produzent und Cinevox-Chef, der in Babelsberg gerade die „Unendliche Geschichte III“ abgedreht hat, unter Kooperationsvertrag mit Warner steht und auf dem Rendezvous mit der 20-Millionen-Produktion „Rififi in New York“ vertreten war (Regie: Carl Schenkel, mit Jack Lemmon, Andy Garcia und Marianne Sägebrecht) sowie als Chef von Cinevox, die unter Kooperationsvertrag mit Warner steht, hat er gut reden. Wenn man jedoch die jüngste Meldung bedenkt, daß Bodo Scriba, Ex-Kompagnon von Leo Kirch, mit 500 Millionen Dollar ins US-Filmgeschäft einsteigen will, wünscht man sich, Geissler könnte ihn davon überzeugen, seine Millionen doch lieber in Europa zu investieren. Media II, so Julian Friedmann, sollte daher weniger fertige Filme unterstützen, sondern Filmprojekte bereits im Entwicklungsstadium betreuen, um ihre Erfolgsaussichten zu erhöhen. „Die Amerikaner geben 7 bis 10 Prozent eines Filmbudgets für die Entwicklung des Scripts aus, die Europäer zum Teil weniger als ein Prozent.“ Vermutlich existiert ein Zusammenhang zwischen dem Erfolg von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ und der Tatsache, daß das Drehbuch 17mal umgeschrieben wurde. Und vermutlich nützt es den beiden neuen Filmen von Alain Resnais, „Smoking“ und „No Smoking“ wenig, daß die efdo seinen Europa-Vertreib mit knapp 800.000 DM fördert. Als neuestes Erfolgsgeheimnis firmiert derzeit die keineswegs so neue Devise des act local, think global: Wenn du einen deutschen Film entwickelst, vergiß deine französischen Nachbarn nicht. Inwiefern die Anwendung amerikanischen Know-hows sich jedoch nivellierend auf die europäischen Kinogeschichten selber auswirkt und ob „Rififi in New York“ nicht einfach ein mit europäischen Geldern gedrehter US- Film wird, stand in Babelsberg leider nicht zur Debatte. International erfolgreiche und dennoch regional sehr spezifische europäische Filme, wie etwa die von Pedro Almodovar oder Emir Kusturicas „Zeit der Zigeuner“, kamen eben nicht über fleißige Drehbuchbearbeitung zustande. Deutsche Verleiher setzen auf die Neuorganisation von Media nicht zuletzt wegen des nationalen Förderdilemmas. Prokino-Chef Stephan Hutter: „Bei uns in Deutschland ist es besonders schlimm: Alles was mit Kultur und Medien zu tun hat, ist immer noch Ländersache. Auf dem Gebiet von Film und Fernsehen hat das katastrophale Folgen. Wir sind nie vertreten in Brüssel. Die europäische Zentralisierung ist die einzige Möglichkeit für uns, Druck auf die Länder auzuüben, um eine auch hier notwendige Zentralisierung in Gang zu setzen, ohne daß wir unser Grundgesetz verändern müssen.“ Der Umweg als Ausweg, sprich: über Europa ins Kino nebenan. Vorher muß es den Filmfunktionären in Brüssel jedoch gelingen, für Media II an den eigenen Sesseln zu sägen. Christiane Peitz
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