: Angst vor Lynchjustiz auf Haiti
■ Parlamentssitzung in Port-au-Prince beginnt unter US-Militärkontrolle, um Amnestie für die Putschisten zu beraten / UN-Sicherheitsrat soll Embargo aufheben / Waffenaufkäufe nur schleppend
Berlin (taz) – Heute soll der UN-Sicherheitsrat über die Aufhebung der Sanktionen gegen Haiti entscheiden. Die USA haben einen Resolutionsentwurf vorgelegt, nach dem die Strafmaßnahmen aufgehoben werden sollen, sobald der gewählte Präsident Haitis, Jean-Bertrand Aristide, in sein Amt zurückgekehrt ist. Bereits am Dienstag abend hatte der Präsident der benachbarten Dominikanischen Republik, Joaquin Balaguer, die Wiedereröffnung der Grenze zwischen beiden Staaten erklärt. Handel mit Haiti sei in vollem Umfang wieder möglich.
Ob Aristide tatsächlich bis zum 15. Oktober oder gar vorher wieder zurückkehren kann, das hing nicht zuletzt von der Sitzung des haitianischen Parlaments ab, die gestern abend in Port-au-Prince beginnen sollte. Gemäß dem Abkommen, das US-Unterhändler Jimmy Carter am 18. September mit den Militärmachthabern Haitis ausgehandelt hatte, soll das Parlament eine Amnestie für die rund 7.000 Angehörigen des haitianischen Militärs verabschieden. Während der Militärherrschaft der letzten drei Jahre waren mindestens 3.000 Haitianer von den Militärs oder paramiltärischen Einheiten getötet worden. Zu der Parlamentssitzung hatte Präsident Aristide aus dem Exil aufgerufen.
An der Sitzung sollen auch die rund 40 Senatoren und Parlamentarier teilnehmen, die seit dem Militärputsch 1991 ins Exil geflohen oder innerhalb Haitis untergetaucht sind. Sie wurden jetzt teilweise unter starken Sicherheitsvorkehrungen aus den USA eingeflogen. Das Parlamentsgebäude ist von US-Militärs umstellt und gesichert – was Proteste von anderen Parlamentariern auslöste, die darauf bestanden, daß keine ausländischen Soldaten im Gebäude selbst präsent sein sollen. Das gestand der Präsident der Abgeordnetenkammer zu, um zu gewährleisten, daß das Parlament überhaupt beschlußfähig sein würde.
Neben der Amnestie für die Putschisten will das Parlament auch über eine Polizeireform beraten. Die ist wohl nötig, sind doch die bisherigen haitianischen Polizeikräfte nicht nur durch die Repression während der Militärherrschaft diskreditiert, sondern außerdem gar nicht mehr in der Lage, die Sicherheit im Land aufrechtzuerhalten. In Cité Soleil, dem größten Armenviertel der Hauptstadt, war es am Dienstag zu Plünderungen eines Lagers mit Lebensmittelspenden der Europäischen Union gekommen. In Gonaives im Norden des Landes nahmen US-Soldaten 45 Haitianer wegen der Plünderung von Lebensmittellagern fest, darunter zwei eigentlich zur Wachmannschaft des Lagers zählende Soldaten. Die Gefangenen wurden der haitianischen Justiz überstellt.
Eher schleppend begann am Dienstag die Aktion der US-Truppen, Waffen von Zivilisten aufzukaufen. Durch das Kaufangebot soll ein Anreiz geschaffen werden, die illegalen Waffen freiwillig abzugeben. Die Sache hat allerdings einen Haken: Die Todesschwadronen und bewaffneten Schlägertrupps, die sogenannten Attachés, besitzen alle einen Waffenschein, sind also nach haitianischem Recht legal. Zudem liegen die Preise, die die US-Truppen für die Abgabe von Waffen zahlen, nur zwischen 50 und 300 Dollar je nach Waffenart. Das ist zwar für den Durchschnittshaitianer viel Geld, allerdings weniger als auf dem haitianischen Schwarzmarkt mit dem illegalen Verkauf von Waffen erzielt werden kann. Unter Embargobedingungen kostete schon eine Gallone Benzin auf dem Schwarzmarkt stattliche 47 Dollar.
Kein Wunder also, daß sich am ersten Tag bei der zentralen Sammelstelle der Hauptstadt – der „Waffenbörse“, wie sie schon jetzt genannt wird – nur einige wenige Haitianer einfanden. Die Ausbeute war gering: Einige rostige alte Pistolen – eine davon aus dem Ersten Weltkrieg –, ein M1-Karabiner und eine Uzi-Maschinenpistole war alles, was die US-Waffenaufkäufer am ersten Tag auf ihre Lkw werfen konnten.
Präsident Aristide hat sich unterdessen in einer Fernsehansprache an die haitiansche Bevölkerung gewandt und zur Versöhnung und Demilitarisierung aufgerufen. Der Präsident weiß, daß mit der zunehmenden Entmachtung des haitianischen Militärs und der Polizei auch die Gefahr der Racheakte seiner Anhänger an den verhaßten Ex-Machthabern steigt. Bereits am Sonntag war es vereinzelt zu Übergriffen von Aristide-Anhängern auf Attachés und Polizeiangehörige gekommen. Emile Constant, der Führer der ultrarechten FRAPH, die dem Putschgeneral Raoul Cédras nahesteht, befand denn auch, daß „die Lage immer schlimmer“ werde. Seiner Ansicht nach „fühlen sich die Haitianer erniedrigt durch die starke Militärpräsenz“, er selbst fühle sich durch den „Pöbel“ bedroht.
Für Aristide und die US-Truppen wird es in jedem Fall keine leichte Aufgabe, zu verhindern, daß der tiefsitzende Haß der bisher Unterdrückten auf ihre Peiniger in Lynchjustiz umschlägt. pkt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen