piwik no script img

Siemens für Lesben

■ Vom Atomkraftwerk bis zum Dental-Damm reicht die Produktpalette des Großkonzerns. Auf die dünnen Latex-Lappen sind Zahnärzte und Lesben scharf

Die politisch korrekte Lesbe von heute ist einen langen, leidvollen Weg gegangen. Sie hat sich ihre Sexualität erstreiten müssen und das Recht auf Penetration wiedererlangt. Die gefährliche Gratwanderung zwischen der Benutzung von Sexspielzeug und dem Anrecht, sich trotzdem Feministin nennen zu dürfen, hat sie überwunden. Und, mit mehrjähriger Verspätung, durch die Aids-Krise gelernt, wie und warum sie Safer Sex praktiziert.

Doch nun droht das so mühsam aufgebaute Weltbild auf eine harte Probe gestellt zu werden.

Die Großindustrie hält Einzug in unsere Schlafzimmer – schlimmer noch: Sie legt sich praktisch direkt auf unser edelstes Teil. Von allen Firmen, die ihre Finger in so unsauberen Geschäften wie der Waffenproduktion oder der Atomindustrie haben, vertreibt ausgerechnet die Münchener Siemens Aktiengesellschaft die Latex-Lappen, an denen lüsterne Lesben herumlecken.

„Was die da wohl trockenlegen, haben wir uns gefragt“, wunderte sich die Sachbearbeiterin des Siemens Dental Depots, als die Lesbenberatungsstelle dort erstmals ihre Bestellung aufgab. Dental Dams, zu deutsch Kofferdämme, werden von ZahnärztInnen benutzt, um bei Operationen die offene Wunde virenundurchlässig abzudämmen sowie Feuchtigkeitsbildung zu vermeiden und den Mund trockenzulegen.

Daß es bei lesbischem oralem Safer Sex um alles andere als „Trockenlegen“ geht, wissen die SachbarbeiterInnen des Dental Depots mittlerweile nur zu gut. „Wir hatten ja keine Ahnung, wozu die das brauchen. Wir sind dann richtig neugierig geworden. Jetzt haben wir das alles durchgesprochen.“

Noch völlig ahnungslos über den alternativen Gebrauch von Dental Dams zeigte sich dagegen die Zulieferfirma von Siemens: „Wenn es nicht zu indiskret ist, könnten Sie wohl genauer erklären, wozu, ähem, ich meine, wie ...?“ Dem Mann konnte geholfen werden. Im Dental Depot von Siemens trägt die erfolgreiche Aufklärungsarbeit bereits Früchte: „Die haben wir mittlerweile doch richtig liebgewonnen, die von der Lesbenberatung, unsere Mäuse.“ So einfach kann die Verständigung zwischen den Welten also sein. Auch muß nicht befürchtet werden, daß Siemens irgendwann den Hahn zudreht und die lesbische Welt damit tatsächlich trockenlegt. „Das sind doch Kunden wie alle anderen auch.“ Und Kunden sind schließlich fast sowas wie Menschen.

Neben der Lesbenberatungsstelle kann die Safer-Sex-freudige Lesbe in Berlin ihren Bedarf an Latex-Lappen im Naturkostladen „Kraut & Rüben“ decken. Die Betreiberinnen umgehen das so kooperative Siemens Dental Depot übrigens aus weltanschaulichen Gründen und ordern direkt beim Arzneimittelversand.

Welche Probleme mit dem Verkauf von Safer-Sex-Utensilien auf die unvorbereiteten Gemüsehändlerinnen zukamen, wurde erst später klar: „Es war dann doch schwierig, den Gebrauch über die Ladentheke hinweg zu erklären.“ Da sich die Frauen des Naturkostkollektivs nicht als Sexberaterinnen verstanden, dient jetzt ein Flugblatt zur Information.

Daß nun der lesbische Markt von der Dentalindustrie entdeckt wird, ist unwahrscheinlich. Auf dem Weltmarkt sieht die Situation schon anders aus. So hat sich eine australische Firma des lesbischen Sicherheitsbedürfnisses angenommen und produziert in Malaysia extra große Gummilappen – wahlweise mit Erdbeer- oder Vanillegeschmack! Soweit ist Siemens noch nicht. Der Konzern versichert, man habe nicht vor, „lesbische Sexualität zu verkaufen“. Eine gezielte Werbekampagne sei in den nächsten Jahren nicht geplant, der Absatz mache sich dafür nicht bemerkbar genug. Das kann für uns nur eines heißen: mehr Oral-Sex! Manuela Kay

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen