■ Wenn Freundschaft beschworen wird, ist was faul: Ausländer - Objekt oder Partner?
Wenn Freundschaft beschworen wird, ist was faul
Ausländer – Objekt oder Partner?
Die in der Bundesrepublik lebenden ImmigrantInnen beschäftigen die linke Öffentlichkeit mit dem Niedergang des Internationalismus in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Der Vietnamkrieg war geschlagen, die Roten Khmer verwandelten Kambodscha in ein Schlachthaus, und die Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus waren mit der Etablierung der Diktatur Pinochets auch in Lateinamerika ausgeträumt.
Stadtteilaktivisten und Linke beendeten ihre Buhlerei um die deutsche Arbeiterklasse – überließen die Treber, Fürsorgezöglinge und die Arbeiterjugendlichen ihrem weiteren Schicksal. Zu langweilig, undankbar reaktionär, kleinbürgerlich und verstrickt im real existierenden Kapitalismus waren sie, als daß man bei der Suche nach dem aufregend-belebenden Kick noch allzu viel Lustgewinn aus dem ungleichen Verhältnis ziehen konnte.
Den versprachen in lähmend-leeren Jahren andere, scheinbar authentischere Bündnisgenossen. Die Türken redeten nicht nur über Folter, sie hatten sie auch tatsächlich erlebt; italienische „Gastarbeiter“ retteten mit ihrer Treue zur PCI linke Tagträume. Das emphatische „Hoch die Internationale Solidarität“ der südländischen Gewerkschafter bei den 1.Mai-Demonstrationen versprach eher als die staatstragende Abteilung der IG Bau-Steine-Erden eine Aussicht auf Veränderung. Natürlich kam es nicht zur Verbrüderung. Den „Unterdrückten“ schmeckte, je weiter sie sich von den erbärmlichen Verhältnissen der alten Heimat entfernten, das süße Brot der Ausbeutung so gut, daß sie sich mehrheitlich doch lieber für den Daimler als für die Revolution entschieden.
Aber ganz ließ man die Ausländer – trotz offensichtlicher Korrumpier- und Integrierbarkeit – nicht fallen. Aus dem potentiellen „Genossen“ wurde ein Medium. Mit dem Agitationsfeld „Ausländer“ gewannen konturlos gewordene Konfliktlinien wieder an Tiefenschwärze. Restriktive Zuwanderung versus offene Grenzen – unversöhnliche Gegensätze, immer gut für Gesinnungshuberei. Die weniger internationalistisch und klassenkämpferisch Disponierten begannen sich nun für Ausländer einzusetzen – „Mein Freund ist Ausländer“. Für dieses Engagement gibt es bekanntlich hinreichend Gründe, die hier nicht weiter erörtert werden müssen.
Warum aber in humanistischen, linksliberalen und antirassitischen Kreisen so freundlich und nachhaltig betont wird, daß der Freund ein Ausländer sei, macht mißtrauisch. Denn mit der Freundschaft ist es – außer bei der heranwachsenden Generation, in der interkulturelle Liebe zum Alltag gehört – nicht allzu weit her. Das legt nicht nur die Homogenität der Besucher Kreuzberger Szenekneipen nahe, sondern auch die Gespreiztheit auf interkulturellen Veranstaltungen, Feten und Straßenfesten, die einer entspannten, „lockeren“ Atmosphäre erst wieder weicht, wenn sich die „ausländischen Freunde“ bereits höflich verabschiedet haben oder das Zahlenverhältnis zwischen Teutonen und Immigranten – na, sagen wir – bei eins zu zehn liegt, die Dominanzverhältnisse wieder geklärt sind.
Verwunderlich ist dies nicht. Das läuft in verqueren Beziehungen, in denen Differenzen tabu sind und der eine dem anderen vorenthält, was er von ihm erwartet, nun mal so. Die Beschwörung der Freundschaft verschleiert, was Linksliberale von den Immigranten eigentlich außer dem Beweis, wieder einmal auf der richtigen, der menschlichen Seite zu stehen, für sich an Gewinn versprechen. Die Interessen der Konservativen und der bürgerlichen Mitte lassen sich recht schnell ausmachen: Sie wollen in ein Tauschverhältnis eintreten und das abschöpfen und für sich nutzen, was Immigranten zu bieten haben – ihren Willen zum Aufstieg, ihre Strebsamkeit, ihre Abhängigkeit, ihre Jugend und ihre Kreativität. Als Gegenleistung stellen sie all das in Aussicht, was die Zuwanderer suchten, als sie sich hier niederließen: bessere Verdienstmöglichkeiten als in der Heimat, soziale Sicherheit, größere Autos, schönere Wohnungen und bessere Bildungs- und Aufstiegschancen für ihre Kinder. In dieser Hinsicht sind Opel, Siemens, Nixdorf, AEG und die Bundesanstalt für Arbeit geeignetere Geschäfts- und Bündnispartner als Linksliberale, die bestenfalls schlechtbezahlte Arbeitsplätze für Kindermädchen und Putzfrauen anzubieten haben.
Die letztlich recht eigennützige Instrumentalisierung der Zuwanderer muß nicht schlimm sein. Sie kann beiden Seiten durchaus zum Vorteil gereichen, wenn – wie im Fall von Industrie und Immigranten – von Beginn an mit offenen Karten gespielt wird. Für die politische Kultur wäre viel gewonnen, wenn Linksliberale und Bürgerrechtler bei ihrem Engagement bezüglich der rechtlichen Gleichstellung der Immigranten darauf verzichteten, den Eindruck zu erwecken, etwas für Ausländer zu leisten. Es gibt ureigene Interessen, die Mitglieder der privilegierten Mehrheit bewegen sollten, gemeinsam mit den Minderheiten für die rechtliche Gleichstellung zu streiten. Denn zu der Vorstellung, daß das eigene Wohnumfeld, die Schulen, das gesellschaftspolitische Klima nicht unbedingt liebenswerter werden, wenn sich das Gefühl der Diskriminierung und Ausgrenzung bei den nachwachsenden Immigrantengenerationen nachhaltig verfestigen sollte, gehört nicht allzu viel Phantasie. Eberhard Seidel-Pielen
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