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Spielen im Dienste der Allgemeinheit

■ Jetzt ist es amtlich: Im November läuft in Großbritannien die staatliche Lotterie an

Berlin (taz) – Spielsüchtige und Super-Jackpot-Enttäuschte aufgepaßt! Flüge buchen! Großbritannien, bereits der größte Markt für private Wettbüros, verwandelt sich in ein Spieler-Eldorado. Am 19. November läuft zum erstenmal in der Geschichte des Königreiches eine staatliche Lottoziehung im Fernsehen. Fünf Tage davor, am 14., gehen die ersten Lose auf den Markt.

Im Jahre 1826 wurde das letzte staatliche Lotto in Großbritannien eingestellt. Seine Wiedereinführung ausgerechnet im Land der neoliberalen Revolution ist für manche Beobachter staatsmonopolistischer Kapitalismus von geradezu gotteslästerlicher Qualität. Denn private Lotterien, bereits 1698 verboten, darf es weiterhin nicht geben. Dafür bekommen aber die vielen privaten Wettbüros, in denen jährlich 16 Millionen Briten ihr Haushaltsgeld auf die Schicksale von Pferden und Politikern setzen, mächtige Konkurrenz. Drei Milliarden Pfund jährlich setzten sie bisher um; auf fünf Milliarden Pfund Umsatz hofft der neue Lotteriebetreiber „Camelot“, der vor wenigen Monaten den Auftrag zur alleinigen Durchführung des Lotto mit einem zunächst siebenjährigen Monopol bekam. „Camelot“ ist kein barocker Tycoon, sondern eine Firmengruppe, in der unter anderem der Getränkegigant Cadbury Schweppes zu finden ist.

Ein Viertel des Camelot-Umsatzes soll „guten Werken“ zufließen; für die Verteilung ist das Ministerium für Nationales Erbe zuständig, das Premierminister John Major 1992 ins Leben rief und das seitdem verzweifelt nach Aufgaben sucht. Mit den ihm zufließenden Lottogeldern, die bei knapp drei Milliarden Mark pro Jahr liegen dürften, soll Erbeminister Peter Brooke kulturelle und sportliche Vorhaben, Museen, öffentliche Bibliotheken und gemeinnützige Vereine beglücken.

Und als Extrawurst hat er noch einen „Jahrtausend-Fonds“ – ein an Mitterrandschen Größenwahn erinnerndes Vorhaben: Dieser Fonds soll zur Feier des Jahres 2000 jahrtausendträchtige Vorschläge aus dem Volk realisieren, also verrückte Denkmäler oder nutzlose Bauten in die britische Landschaft setzen dürfen. „Wir könnten so was wie den Eiffelturm bauen“, freut sich schon Lord Palumbo, Vorsitzender des staatlichen Kulturrates.

Daß Kunst, Sport und Gemeinsinn in Zukunft vom Lotto abhängen, hat viele Traditionalisten auf die Palme gebracht – auch Neoliberale. „Geld verlieren, damit die Reichen in die Oper gehen können“, verurteilte der konservative Economist die Konstruktion. Andere Sorgen haben die gemeinnützigen Organisationen, die charities, die immer mehr früher vom Wohlfahrtsstaat wahrgenommene Aufgaben übernehmen. Sie leben vor allem von Steuervergünstigungen und Spenden und verweisen nun auf das Beispiel Irlands, wo seit der Einführung des Lotto 1988 die Einkünfte der vier größten charities um 60 Prozent geschrumpft sind. Die Regierung hat eine Antwort parat: Die Organisationen dürfen selber kleine Lottospiele veranstalten. Und sie kriegen einen reichlichen Anteil der staatlichen Lottoeinnahmen. Wird es bald in der britischen Fernsehwerbung heißen: „Wer einem Obdachlosen helfen will, braucht ein Los der Goldenen Schweppes“? Antwort ab 14. November. Dominic Johnson

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