: Bremer Uni: „Hier wird alles verbrannt“
■ Besuch in der nach dem Brand vergifteten Zone der Uni / Wissenschaftler dürfen in ihren verseuchten Büros die Bücher auswählen, die kopiert werden sollen
Die Elektro-Uhr ist auf fünf vor fünf stehengeblieben. Auf Schreibtisch, Regalen und Büchern liegt eine dicke Schicht Staub. Dazwischen bewegen sich, in papiernen Vollschutzanzügen und mit Atemschutzmaske ausgerüstet, die Professoren Dieter Richter und Jörg Richard. „Suchen Sie nur das Allerwichtigste aus,“ sagt der Brandsanierungsfachmann, „das wird erst kopiert und dann verbrannt.“ Hilflos irren die Professoren in den Räumen umher, die mal ihre Büros waren und die jetzt komplett vergiftet sind. Vernichtet wird alles hier.
Wir befinden uns im „Totalbrandschadensbereich“ des GW II-Gebäudes an der Uni Bremen. Die zweite Etage des GW II beherbergte bis zum Freitag, 16. September, den Fachbereich 10 (Sprach- und Kulturwissenschaft). Dann brach dort ein Feuer aus. Die entstandenen, noch nicht alle analysierten Gifte (Asbest, Dioxine?) verteilte die Klimaanlage sorgfältig auch in den Etagen darüber. Seitdem ist der Bereich hermetisch abgeriegelt, die Türen sind mit Klebeband verklebt, und ein Betreten ist nur mit Vollschutz möglich.
Die letzten beiden Wochen durften die, welche auf der Ebene 2 eines der 40 Büros hatten, Dienstleister, wissenschaftliche und studentische Mitarbeiter und Professoren, noch einmal einen Blick über den Atemschutz auf ihre Zimmer werfen. Und die wertvollsten Bücher und wichtigsten Unterlagen auswählen. Zum Kopieren. Am Mittwoch waren Raum A 2490 und 2500 dran.
„Das hier ist ein längst vergriffenes italienisches Reisebuch aus dem 19.Jahrhundert, es gehört Hans-Wolf Jaeger,“ protestiert Richter. Unerträglich die Vorstellung, es ins Feuer zu werfen. Grotesk die von der Versicherung angekündigte Art der Entschädigung: das soll nach Regalmeter gerechnet werden! Dort alle von ihm betreuten Examens- und Doktorarbeiten, manchmal das einzige Exemplar. Arbeiten von mittlerweile Prominenten liegen da, von Helga Trüpel zum Beispiel oder von Waltraud Schoppe. Ein Schwung Bücher der Bibliothek, deren Signatur „P03unt“ von einem längst verblichenen Projekt „Autobiografik der unteren Schichten“ erzählt, wird wohl nie mehr zurückgegeben. Die Akte „Der lange Weg zum Geld“ enthält Richters sämtliche Bemühungen um Sponsoren zum Beispiel für Ausstellungsprojekte.
Hier blieb ein Saxophon liegen. Dort der Fressnapf eines Hundes namens Mirca. Weingläser. Eine Ansichtskarte aus Jerusalem. Literatur eines laufenden Projektes über jüdische Kinderliteratur. Eine Schaufensterpuppe. Was sich so ansammelt.
„Sie glauben ja nicht, was für ein Schrott in den Zimmer rumliegt,“ sagt der gestrenge Sanierungsfachmann, als die Hochschullehrer nebenan sind. So gesehen wird hier mal gründlich aufgeräumt. Den Betroffenen ist anders zumute. An Totalverlust kann in Wahrheit niemand glauben. Die Dame von der Univerwaltung, auch ganz in Weiß, die die Trauerarbeit der Professoren begleitet, deutet vage Möglichkeiten an, daß einzelne Objekte zu reinigen und also zu retten seien. Eine Chance für die „Erinnerungen eines Handwebers“? Geht es nach der Sanierungsfirma, geht alles ins Feuer.
Doris Foitzek – der Sanierungsfachmann kennt die Reaktion schon auswendig aus den anderen vierzig Zimmern – platzt heraus: Wer denn das verbieten könne, die Sachen einfach mitzunehmen, und er selbst sei doch auch sehr sorglos ohne Kapuze und Mundschutz, mit Kippe im Mundwinkel. Doris Foitzek ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und bereitet gerade eine Ausstellung über die 60er vor; das Material ist vergiftet. „Die so ein Theater machen,“ murmelt der Sanierer, „machen alles noch schlimmer.“ Ist eh schon schlimm genug. Sekretärinnen vom Verwaltungshochhaus gegenüber hätten sich schon krank gemeldet, als hier mal die Fenster offenstanden.
Bleich, matt, mit brennenden Augen verläßt Dieter Richter den giftigen Bereich. Ein Abschied. Mit Aufbäumen: ein Kollege hat bereits einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Dürfen die mein Eigentum überhaupt einbehalten? Auch Richter spielt mit dem Gedanken an einen Rechtsanwalt gegen die Bücherverbrennung. Wer glaubt denn den Messungen? Wer legt die Grenzwerte fest? Man sieht ja nichts. „Wie Tschernobyl,“ meint Kollege Richard.
„Und meine Mao-Bibel ist da auch noch drin,“ fällt Doris Foitzek ein. Die braucht sie natürlich dringend für die 60er-Jahre Ausstellung. „Können Sie nicht Ihre Leser um Mao-Bibeln bitten?“
Burkhard Straßmann
P.S.: Klar! Bitte liefert Eure Maobibeln in der Redaktion ab! Massenhaft!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen