■ Bonn apart: Atmo fürs Mikro
„Knappe Mehrheit und knappes Geld – daraus folgt starke Politik.“ Erwin Huber, Generalsekretär der CSU, hat den Mund wieder einmal reichlich vollgenommen. „Wir haben gute Arbeit geleistet“, berichtet der Bayer „in aller Bescheidenheit“ vom Bonner Koalitionspuzzle. Nur – es kann ihm niemand so richtig folgen. Schwarze Limousinen, zugeschlagene Autotüren, Worthülsen für die Mikros – um was es eigentlich geht, weiß das TV- Publikum schon nach wenigen Bildern nicht mehr. Daß gerade in Bonn Koalitionsverhandlungen anstehen, eine übrigens sehr ernst zu nehmende Veranstaltung, hat man ja langsam mitbekommen. Aber ob dort auch zukunftweisende Konzepte ausgetüftelt oder „Richtungsentscheidungen“ getroffen werden, darüber kann man nur rätseln. Selbst wenn es die Koalitionäre ganz spannend machen und gelegentlich ihr Arbeitspensum präsentieren, sind wir nicht viel schlauer.
Ob CO2-Steuer oder Bonner Diätplan, ob kürzere Ausbildungszeiten oder steuerfreies Existenzminimum – lang ist zwar die Liste wohlfeiler Absichtserklärungen, die von den Generalsekretären geschwind verlesen werden. Aber wo bitte bleiben die Inhalte? „Das beste Wirtschaftsförderprogramm heißt weniger Staat“, gibt etwa Werner Hoyer (FDP) zum besten, Peter Hintze (CDU) verkündet, man wolle Genehmigungswesen und Gerichtsbarkeit künftig Beine machen, und Erwin Huber verspricht, man werde „die Steuer- und Abgabenlast schrittweise senken“.
Das hervorstechendste Merkmal dieser Koalitionsvereinbarungen ist ihre niederschmetternde Mittelmäßigkeit. Die Regierung freilich sieht das anders: „Die Verhandlungen laufen erstaunlich vernünftig“, berichtet FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms. Hauptsache das Klima stimmt, und die Atmosphäre ist in Ordnung, mögen sich die Unterhändler gedacht haben. Gut zwei Wochen vor der Kanzlerwahl soll tunlichst jeder Streit vermieden werden. Die Koalitionsarithmetik ist diesmal denkbar einfach: Vor den Wahlen klammerte sich die vom Unmut des Stimmvolks bedrohte FDP an die Union, beide dann an einen Strohhalm. Daran scheinen sie jetzt Gefallen gefunden zu haben. So wird alles ausgeklammert, was die Harmonie stören könnte. Die Regierung will nur eins: weiterregieren.
PS: Immerhin haben uns die geräuschlosen Koalitionsverhandlungen den geschwätzigen Terror der üblichen Bonner Pressekonferenzmaschinerie erspart. Wenigstens für eine Weile. Erwin Single
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