: Die rumänische Revolution begann auf Malta
Nicht nur in einem Bericht des rumänischen Securitate-Nachfolgers, sondern auch in vielen Büchern, Artikeln und Interviews wird der Sturz von Nicolae Ceaușescu als Verschwörung ausländischer Geheimdienste dargestellt ■ Von William Totok
Was als hartnäckiges Gerücht seit nunmehr fünf Jahren in Rumänien kursiert, ist seit der Veröffentlichung des „Vorberichts des Rumänischen Nachrichtendienstes (SRI) über die Ereignisse vom Dezember 1989“ aktenkundig. Die Revolution von 1989, die zum Sturz des verhaßten Diktators Nicolae Ceaușescu geführt hatte, war demnach eine von ausländischen Geheimdiensten koordinierte Verschwörung antirumänischer Kräfte, die das Ziel verfolgten, die Souveränität und territoriale Integrität des Landes zu zerstören.
Vor allem die der Securitate wegen ihrer „Agententätigkeit zugunsten der Sowjetunion“ bekannten „philosowjetischen Intellektuellen“ sowie die in einem ungarischen Auffanglager vom Geheimdienst des Nachbarlandes ausgebildeten rumänischen Flüchtlinge, so der SRI-Vorbericht, hätten 1989 durch ihre offene Wühltätigkeit die innere Sicherheit gefährdet.
Eine Schlüsselrolle in der gegen Rumänien gerichteten internationalen Verschwörung habe auch der ehemalige jugoslawische Generalkonsul aus Temeswar, Mirko Atanaskiewitsch, gespielt, der als ungarisch-jugoslawischer Doppelagent beschrieben wird. Sein Vergehen bestand darin, den „Forderungskatalog Temeswarer Revolutionäre“ nach Jugoslawien geschmuggelt und an die Massenmedien weitergeleitet zu haben, um dadurch die „Destabilisierung“ des Landes in Fahrt zu bringen.
Der an einen schlechten Politthriller erinnernde SRI-Bericht ist, wie kürzlich eine Temeswarer Publizistin sagte, eine Beleidigung all jener, die während der blutigen Auseinandersetzungen 1989 gefallen sind. Er ist ein eindeutiger Versuch, die Securitate von allen Verbrechen reinzuwaschen und sie der Öffentlichkeit als „patriotische Organisation mit reiner Weste“ zu präsentieren. Aus diesem Grund werden für die Eröffnung des Feuers auf die Demonstranten (siehe hierzu untenstehenden Kasten) ausschließlich „Armeeangehörige und bewaffnete Zivilisten“ verantwortlich gemacht, die sich im allgemeinen Wirrwarr der Revolution gegenseitig erschossen haben.
An diesem Blutbad trifft, laut Bericht, die „unbewaffnete Securitate“ letztendlich keinerlei Schuld. Im Gegenteil, sie habe von Anfang an die Lage richtig eingeschätzt und sich auf die Seite des Volkes gestellt. Dieses Volk wird, in einem geschickt-versöhnlerischen Schlenker, als anonyme „treibende Kraft“ beschrieben, deren Aktivität „zum Sturz des totalitären Regimes“ geführt habe.
Den Bericht des Nachrichtendienstes können die rumänischen Behörden nun als Beleg für die Richtigkeit ihres Umgangs mit der Vergangenheit verwenden: Denn die nach dem Aufstand verhafteten Securitate-Offiziere und Politbüromitglieder, nach dem Dezember 1989 der Beihilfe zum Völkermord angeklagt, sind heute alle frei.
Gleich nach dem Sturz Ceaușescus verkündete die Übergangsregierung die Auflösung der alten Securitate und die Übernahme ihrer Archive und Zentralen durch die Armee. Nach den blutigen rumänisch-ungarischen Ausschreitungen im siebenbürgischen TÛrgu-Mures im März 1990 gab die Regierung dann die Gründung des zu mehr als 60 Prozent aus Securitate-Offizieren bestehenden neuen „Rumänischen Nachrichtendienstes“ bekannt.
Zu seinem Direktor wurde der ehemalige Professor an der Parteiakademie und „getarnte“ Geheimdienstoffizier Virgil Magureanu ernannt. Daß für die interethnischen Auseinandersetzungen in TÛrgu- Mures maßgeblich auch frühere Securitate-Offiziere mitverantwortlich waren, die in der ultranationalistischen Massenorganisation „Vatra RomÛneasca“ (Rumänische Heimstätte) eine neue politische Heimat gefunden hatten, ist in Rumänien ein offenes Geheimnis.
Die „Vatra RomÛneasca“ und deren politische Speerspitze, die „Nationale Einheitspartei der Rumänen“ (PUNR), heute mit vier Ministerposten in der Bukarester Koalitionsregierung vertreten, sorgte in den fünf Jahren seit der Wende unaufhaltsam dafür, den Mythos der internationalen Verschwörung salonfähig zu machen. In unzähligen Büchern, Memoiren, Romanen und Interviews mit Altsecuristen sowie in auflagenstarken Zeitungen und Zeitschriften wird nicht nur die Idee einer „vaterländischen Securitate“ akkreditiert, sondern auch Ceaușescu als Opfer einer geheimen Vereinbarung beschrieben, die von Gorbatschow und Bush bei ihrem Gipfel auf Malta Anfang Dezember 89 getroffenen worden sei.
Führend bei dieser Rehabilitierung der Securitate war das Massenblatt Groß-Rumänien, das von der gleichnamigen, auch im Parlament vertretenen neofaschistischen Partei des antisemitischen Poeten Corneliu Vadim Tudor herausgegeben wird.
Der zum Bestsellerautor „mutierte“ frühere Securitate-Offizier Pavel Corut, heute prominentes Mitglied der rechtsextremen PUNR, bestätigt in seinen literarisch verbrämten Büchern nicht nur den eingangs zitierten SRI- Vorbericht, sondern überbietet ihn stellenweise mit unbewiesenen Behauptungen und Hypothesen, die sich nicht einmal ein Verfasser von Science-fiction zumuten würde. Nach seiner Interpretation hatte die Securitate nichts anderes getan als einen edelmütigen, patriotischen Kampf im Sinne „urväterlicher römisch-dakischer Traditionen“ gegen fremde Eindringlinge geführt. – Wenn im vergleichsweise vorsichtig anmutenden Vorbericht des Nachrichtendienstes aus Gründen der „Staatsräson“ ohne weitere Details zumeist namenlose ungarische und sowjetische Agenten erwähnt werden, so entpuppt sich Hobbyautor Corut als unübertrefflicher Meister der politisch-nationalistischen Diversion. Seine in rührselige Geschichten verpackten absurden Thesen fallen in einem von Inflation, Arbeitslosigkeit und zunehmender Verelendung geplagten Land wie Rumänien auf fruchtbaren Boden.
O-Ton aus dem jüngsten Corut- Bestseller „Die Kunst des Erfolges bei den Rumänen“ (1994): „Der nationale Sicherheitsdienst wurde [1989] vernichtet, Rumänien seiner enormen materiellen und geistigen Schätze beraubt. [...] Die an rumänischen Sicherheitsdienstoffizieren und deren Familien begangenen Verbrechen blieben bis auf den heutigen Tag ungesühnt.“
Das internationale Komplott aber, das mit den Schüssen in Temesvar am 19. Dezember begann, sei von den beiden „Weltherrschern“ bei ihrem Gipfel in Malta vorbereitet und von einer Handvoll „Demokraten“ durchgeführt worden. Unter den von dem Securitate-Autor verächtlich als „Demokraten“ bezeichneten Handlangern Bushs und Gorbatschows identifiziert er überwiegend Angehörige der nationalen Minderheiten, vor allem Juden und Ungarn.
Die vaterlandsverräterischen Umtriebe dieser „Verbrecher“ hätten „authentische Vertreter des rumänischen Volkes“, der später inhaftierte und danach auf freien Fuß gesetzte Securitate-Chef Iulian Vlad und der inzwischen verstorbene Generalstabschef der Armee, Stefan Gusa, erfolgreich verhindert und somit das Land in letzter Minute vor „einem Bürgerkrieg und einer fremden Besetzung“ bewahrt.
Gewiß, für das konzertierte internationale Komplott finden Autoren à la Pavel Corut jene Erklärungen, die seit Jahrhunderten in antisemitischen und fremdenfeindlichen Schriften immer wieder auftauchen und nun der gewendeten Securitate perfekt ins Argumentationsschema passen: „Die Juden besitzen eine angeborene Feigheit, die auf ihre jahrhundertealten Erfahrungen in der Diaspora zurückzuführen sind. [...]“ Heute haben sie sich in „heimtückische Politiker“ verwandelt, die nach dem Modell „israelischer Überfallkommandos“ die Weltherrschaft anstreben.
Als Exponent des „jüdisch-freimaurerischen Kapitals“ und „Handlanger des Internationalen Währungsfonds“ wird immer wieder der erste postkommunistische Premier, Petre Roman, genannt. So kürzlich auch in dem Machwerk „Der KGB und die rumänische Revolution“ (1994), das im hauseigenen Miracol-Verlag von Pavel Corut erschienen ist. Der Vater von Roman, ein früherer hoher jüdischstämmiger Parteifunktionär, wird darin beschuldigt, Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg an die „asiatischen“ Sowjets verraten und ausgeliefert zu haben. Der Sohn setze nun unter anderen politisch-ideologischen Vorzeichen den vor fünf Jahrzehnten begonnenen „totalen Krieg“ gegen Rumänien fort, indem er sich in den Dienst westlicher Auftraggeber gestellt habe.
Die Absicht derartiger Propagandaschriften, die in Massenauflagen erscheinen und von Millionen Lesern verschlungen werden, ist offensichtlich. Daß Ex-Securitate-Leute, die heute als erfolgreiche Unternehmer das wirtschaftliche Geschehen weitgehend mitbestimmen und beeinflussen, aufgrund solcher meinungsbildender Behauptungen schamlos sogar den Titel eines „Revolutionshelden“ beanspruchen, um dadurch in den Genuß von Steuerbegünstigungen zu kommen, ähnelt einer Farce. Kein Geringerer als der Securitate- Vize aus Temeswar, Radu Tinu, der eigenhändig während der Revolution Aufständische malträtiert hatte, mauserte sich nach einer kurzen Gefängnisstrafe zum Chef einer umsatzstarken Export-Import-Firma. Sein Anspruch auf den Titel „Held der Revolution“ konnte dank vorauseilender Presseberichte im letzten Augenblick verhindert werden.
Wie viele weniger bekannte ehemalige Securitate-Leute sich wohl heute stolz als „Revolutionäre“ bezeichnen und sich der daraus resultierenden sozialen Vergünstigungen erfreuen, ist schwer zu sagen.
Vielleicht beansprucht auch der Direktor der Securitate-Nachfolgeorganisation SRI, Virgil Magureanu, den Status eines Revolutionärs. Schließlich befand er sich ja bei dem geheimen Schauprozeß und der überstürzten Hinrichtung des Ehepaars Ceaușescu am 25.Dezember 1989 unter den zugelassenen „Gästen“. In wessen Namen er an dem Prozeß teilgenommen hatte, weiß heute niemand. Auch der „Vorbericht des rumänischen Nachrichtendienstes SRI über die Ereignisse vom Dezember 1989“ bewahrt darüber eisiges Schweigen.
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