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Alles ist möglich

Morgen spielen die bundesdeutschen Kicker in der WM-Qualifikation in Tirana gegen Albanien. Ungute Erinnerungen werden wach  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Speyer (taz) – Spielausfälle sind in diesen schneearmen Zeiten des allgegenwärtigen Ozonlochs auch in der Landesliga Ost Vorderpfalz/ Rheinhessen schon seit Jahren die Ausnahme. Letzten Sonntag war es soweit. Aber kein Hochwasser überschwemmte den Speyerer Roßsprung, schuld an der Verlegung der Partie TuS Altrip (von wo Manfred Kaltz einst zum HSV zog) gegen FV Speyer war Albaniens Nationaltrainer Neptun Bajko (48). Gerade noch rechtzeitig war das Fax aus Tirana in der Geschäftsstelle des Südwestdeutschen Fußballverbandes und beim Speyerer Vorstand und Teamchef Hans Jürgen Schätzel angekommen. Zamir Shpuza (26), Mittelfeldspieler des Landesligisten, der 1992 von Vllaznia Shkoder in die Pfalz gewechselt war, und sein Kollege Clirim Bashi (23) trainieren seit letzten Freitag in Tirana und bereiten sich auf ihren Einsatz im EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland vor. In Speyer war man schon nervös, so Schätzel, „denn mit den Berufungen hatten wir alle gerechnet“.

Es ist nicht das erste Mal, daß die beiden von Neptun Bajko eingeladen wurden. Doch diesmal spannte der Generalsekretär der „Fédération Albanaise de Football“, Dervishi, die Speyerer auf die Folter. Erst kam am 4. November das Fax für Shpuza, dann drei Tage später das für Bashi. Die beiden sind nicht die einzigen Albaner im Speyerer Team. Insgesamt kicken sechs für den früheren Oberligisten und noch zwei Spieler aus dem Kosovo. Für Hans Jürgen Schätzel ist vor allem Zamir Shpuza „ein toller Fußballer mit Überblick und einem plazierten Schuß“. Hinzu kommt sein lockeres Mundwerk. Shpuza ist momentan wegen Schiedsrichterbeleidigung für seinen Verein gesperrt. Was prompt dazu führte, daß die Mannschaft dreimal in Folge verlor und die Tabellenführung einbüßte.

Ist die Zuschauerresonanz in Speyer wegen der mangelnden Identifikation mit dem albanischen Team eher gering, werden morgen in Tirana beim EM-Qualifikationsspiel gegen die BRD viele Augen auf Shpuza gerichtet sein. Und weil Altin Rraklli vom SC Freiburg im Nationalteam auch schon mal die Bank drückte, während Shpuza spielte, liebäugelt der 26jährige mit einem Wechsel ins Profilager.

Eine Rückkehr nach Albanien ist kein Thema. Das Land, in dem es mehr Fußballer als Autos gibt, war nach dem Ende des Kommunismus total ruiniert und geht deshalb auch im Fußball ganz neue Wege. Nicht mehr die Politik bestimmt, sondern der neugegründete Verband. Die 56. Saison startete Ende August erstmals mit 16 Klubs. Und drei von ihnen – SK, Partizan Tirana und Teuta Durres – haben gar einen Sponsor.

Die besondere Verbindung und Nähe zu Italien sticht hier hervor: „Mammarella Immobiliare“ wirbt auf den Trikots von Elbasan bis Vlore. SK Tirana gelangen auch die besten Transfers. So wurde Fortuzi verpflichtet, der beste Stürmer Albaniens und momentan Erster der Torschützenliste. Die neueste Tabelle: 1. SK, 2. Partizan, 3. Teuta – wen wundert's?

Ob das Engagement der Wirtschaft das Niveau im albanischen Fußball anheben wird? Bisher kennt die Nationalelf mehr Niederlagen als Siege, wobei das 0:2 in Wales im normalen Rahmen blieb. Die Bilanz gegen Deutschland ist vor dem morgigen Spiel mit einem Unentschieden und sieben Niederlagen eher düster.

Doch gerade dieses 0:0 am 17.12. 1967 in Tirana hatte verheerende Folgen für das BRD-Team ohne Spieler des FC Bayern München. Kaum eine vernünftige Radioreportage außer nervtötendem Kurzwellenrauschen kam zustande, geschweige denn eine Übertragung im Fernsehen. Albanien, abgeschotteter Einzelgänger unter den sozialistischen Staaten, hielt allen kapitalistischen Verlockungen zum Trotz seine Grenzen dicht. Der Tortur der schwierigen Anreise folgte das blamable 0:0 der Netzer, Overath & Co. an diesem frühen Sonntagnachmittag. Auf bundesdeutschen Sportplätzen breitete sich noch während der regulären Spielzeit örtlicher Ober- und Bezirksligisten blankes Entsetzen aus. Torleute schüttelten den Kopf, Stopper traten geistesabwesend über den Ball. Da Jugoslawien beide Spiele gegen Albanien gewonnen hatte, wurde die BRD nur Gruppenzweiter und blieb bei ihrem EM-Debüt in der Endrunde außen vor.

Anders als damals spielen heute viele Albaner im Ausland, wie Altin Rraklli, die beiden Speyerer oder Nico Dosti von Olimpia Ljubljana. „Mit Rraklli hätten wir in Wales einen Punkt geholt“, ist sich Neptun Bajko, der lange Zeit als Trainer in Mailand hospitiert hat, sicher, daß das Spiel gegen die Deutschen spannend werden wird. Die ließen sich mal wieder aufschrecken von Falschmeldungen über eine angebliche Cholera-Epidemie. Selbst die deutsche Botschaft hielt das für übertrieben und winkte ab. Doch alles vom Trinkwasser bis zur Zwiebel ließ der DFB an Bord schleppen. Die Arroganz der selbstversorgenden Deutschen provozierte prompt eine Gegenreaktion der Albaner. Altin Rraklli wähnt sich und seine Mitspieler so stark, „daß wir gegen die Deutschen ein 0:0 oder 1:1 holen können“. Vielleicht kann Neptun Bajko den ersten Sieg gegen einen dann zur Disposition stehenden Berti Vogts feiern und zum neuen albanischen Nationalhelden werden, den sich das gebeutelte Volk (Arbeitslosenrate 70 Prozent) als Hoffnungsträger so sehr wünscht. Nach Budapest ist alles möglich.

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