: Das dadaistische Loesje
■ Eine elfjährige Anarchistin agitiert: Poster machen kein Geräusch
„Werfen Sie keine Erdnüsse auf diesen Mann hinter dem Schalter.“ Diese Aufforderung hat in Bremen sogar schon Bahnbeamte zum Schmunzeln gebracht, und das will was heißen. Doch wer hat das Plakat unter den Fahrkartenschalter gehängt? Und was hat dieses „Loesje“ zu bedeuten, das quer übers Papier läuft?
Spricht man Loesje wie Luhssche aus, ahnt man, daß sie aus Holland stammt. Loesje ist, obgleich in dieser Woche erst elf Jahre alt geworden, im ganzen Königreich berühmt. Alle kennen und lieben sie. Das heißt, einige würden sie wohl lieber von hinten sehen, denn Loesje kann verdummicht politisch werden: „Warum produzieren wir Müll, wenn wir ihn doch wieder wegwerfen“, plakatierte sie als Neugeborene die Stromkästen von Arnhem, ein anderes vesetzte dem Konservatismus einen tiefen Spruch: „Alles ändert sich ständig, und das bleibt so.“
Zu dieser Zeit hatte sich eine kleine Gruppe von Leuten zu Loesje zusammengeschlossen. Die straßenkampferprobte Kraakerelite war müde davon, über Medienkli-schées vermittelt an die Öffentlichkeit zu treten, im Sinne von „heute kam es wieder zu Zusammenstößen zwischen Chaoten und Polizei“. Man wollte direkter an die Menschen heran, wollte politische Aussagen machen und dabei die unters Pflaster geprügelte Lebensfreude wieder freilegen, denn: „Wenn wir Angst verbreiten, hat die Welt auch keinen Spaß an uns“. Als Logo des humoristischen Eroberungsaktes wählten die RevoluzzerInnen den Mädchennamen Loesje, er sollte dem Ganzen eine persönliche Note geben.
„Einfach anfangen“ ermutigten Poster die BürgerInnen, und diese folgten. Bald arbeiteten Loesje-Gruppen in allen größeren Städten, das ganze Kraakerland zitierte die philosophische, politisch bissige, charmante und witzige Loesje. Ihr Ruf drang über die Grenzen, fünf Jahre später würde sie die ersten internationalen Plakate herausgeben: „Es wird wieder Frühling, die Amerikaner benehmen sich so seltsam“, sinnierte Loesje an den Mauern von Singapur bis Litauen, und fragte in einem weiteren Anschlag: „Wieviele Staaten hat Europa um zwei Uhr?“
Loesje agiert zur Zeit in 300 Orten und 20 Ländern, forderte ihr „Kauft nichts“ unter anderem in Skandinavien, Rußland, Litauen, Slovenien, Slovakien, Brasilien, Singapur, Amerika, Dänemark, Finnland, Deutschland, und da eben auch in Bremen. Christian ist einer von fünf Loesjes vor Ort und beteiligt sich schon seit einigen Jahren an der Wochenendfaxerei mit der holländischen Zentrale. Dort laufen die von den einzelnen Gruppen gebauten Texte ein, maximal zehn pro Woche.
„Der echte Spaß beginnt am Sonntag“, feixt der dort residierende Claes, der die Texte in die Länder weiterschickt, wo sie übersetzt, zuweilen auch bis zur Unkenntlichkeit verändert werden. „Die werden dabei immer besser“, grinst der Holländer, denn alle Seiten sind aufgrufen, das ursprüngliche Opus zu verbiegen. Nach etlichen Fax-messages bleiben die Top ten der jeweiligen Länder übrig, die übersetzt weltweit erscheinen. „Die tiefen Lebensweisheiten kommen aus Petersburg“, resumiert Claes seine Erfahrungen, „die verrücktesten Witze aus Slowenien.“ Schwermütiger Tiefgang bedrückt dagegen oft die Deutschen: „Die interessieren sich für die Welt, aber sie leiden an political correctness.“
Die HolländerInnen sind demgegenüber „lockerer“, beweist auch das weitgespannte Netz von HelferInnen, das bei der Veröffentlichung der Produkte hilft: Die 73jährige Rentnerin etwa, die illegal Plakate klebt, würde man in Deutschland vergeblich suchen.
Sicher kann man freilich nicht sein, denn es muß davon ausgegangen werden, daß die Poster auch in Bremen von Unbekannten kopiert und weiterverbreitet werden. Das ist, „Ich bin verglückt“, ganz explizit erwünscht. Bewegung ist wichtiger als straffe Organisierung. „Leute, die mit Loesje zusammenarbeiten, wollen sich nicht organisieren“, weiß Claes. Und so zahlt auch nur ein Bruchteil der Aktiven Vereinsbeiträge. Das Gros der Kosten wird über den Verkauf von Büchern finanziert, Loesje hat allein in Holland 18 Bücher, – Romane, Erzählungen und Spruchsammlungen – herausgegeben.
Kommerziell ist Loesje dadurch nicht geworden. Christian etwa weigert sich, Plakate oder Postkarten zu verkaufen. Er verschenkt sie lieber, ohne dafür mit niederländischen Höchststrafen rechnen zu müssen. Loesje kennt keine Gesetze, sondern nur den guten Geschmack: „Ordnen Sie bitte sofort mal Ihre Kleidung“, fordert sie dementsprechend die BesucherInnen ihrer Ausstellung auf, die seit einer knappen Woche im bdp-Haus (Am Hulsberg 136) zu sehen ist. Etwa 250 - 300 verschiedene Poster der vergangenen vier Jahre sind dort zu sehen. Heute abend stellt sich die bremische Tochter der Holländerin vor. Wer in sich ein Loesje spürt, sollte unbedingt hingehen, denn „man geht viel bewußter durch die Welt,“ meint Claes. „Man wird klug vom Loesje-Machen.“
Dora Hartmann
Heute 19.30 Uhr im bdp-Haus
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