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„... einfach nicht mehr schön“

Einen Monat nach der Öffnung der Oberbaumbrücke werden keine Staus gemeldet, die AnwohnerInnen aber klagen über Lärm und „dicke Luft“  ■ Von Frank Kempe

Bei der Erinnerung an das gute alte Zuhause gerät Magda Seitz (Name geändert, d. Red.) rasch ins Schwärmen: „Früher“, sagt die 83jährige Kreuzbergerin, „war es hier so ruhig wie in der Kirche.“ Das vor hundert Jahren erbaute Haus in der Oberbaumstraße, das seit dem Ende des Weltkriegs ihr Domizil ist, sei eine geradezu „himmlische Adresse“ gewesen. Kein Lärm, keine verpestete Luft – kurzum: eine Idylle inmitten der Großstadt. Im Sommer, erinnert sich die alte Dame wehmütig, habe sie jeden Mittag auf dem Balkon ein ungestörtes Nickerchen machen können. „Jetzt“, sagt sie wütend, „kann ich vor Gestank und Lärm nicht einmal mehr das Fenster öffnen.“ Immerzu müsse sie husten, den ganzen Tag über plage sie Kopfweh. „Das Leben“, meint die Rentnerin verbittert, „ist einfach nicht mehr schön.“

Vor drei Wochen war die Welt der Magda Seitz und ihrer NachbarInnen rund um die Oberbaumbrücke noch in Ordnung – einigermaßen zumindest. Zwar dröhnten auch da schon die schweren Maschinen der Bauarbeiter, die von morgens bis abends an der neuen alten Verkehrsverbindung zwischen Kreuzberg und Friedrichshain werkelten. Über lärmende und stinkende Blechkarossen aber konnten sich die AnwohnerInnen bis dahin nicht beklagen. Doch seit der Öffnung der Brücke für den Autoverkehr am 9. November ist es endgültig vorbei mit der Gemütlichkeit: Dort, wo einst kaum mehr Verkehr floß als in einer Mariendorfer Sackgasse, fühlen sich die Menschen inzwischen „von Autos regelrecht umzingelt“, wie es eine entnervte Anwohnerin ausdrückt. „Der Krach ist unerträglich, morgens und abends steht eine richtige Abgaswolke in der Luft.“

Dabei rollen die Blechkisten weit weniger dicht über die Brücke als befürchtet. „Unauffälliger Verkehr – keine Staus, kaum Unfälle“, heißt es bei der Polizei, die in der vorvergangenen Woche ihre seit der von Tumulten begleiteten Eröffnung stationierte Tag-und-Nacht-Wache abgezogen hat. Keine besonderen Vorkommnisse also, trotz der Baustellen auf und an der Brücke. Tatsächlich fließt der Verkehr an der Brücke noch recht spärlich, dafür aber um so spritziger – ungeachtet der Tempo-30-Schilder. Schubweise, im Takt der Ampelanlagen, wird hier aufs Gas gedrückt. Danach ist die Piste manchmal fast eine halbe Minute lang frei von Motorenlärm, bis wieder Autos kommen. Von der Blechlawine aber, die Gegner der Autofreigabe befürchtet hatten, ist bisher nichts zu sehen.

„So haben wir uns das auch gedacht“, sagt Tomas Spahn, Sprecher der Senatsverkehrsverwaltung, und es klingt beinahe triumphierend: „Wir bauen doch keine Strecken, auf denen der Dauerstau impliziert ist“, versichert er, so, als habe seine Verwaltung eben genau diese Verkehrsentwicklung vorausgesehen. Dabei lagen die Experten im Hause von Verkehrssenator Herwig Haase (CDU), dem Hang zu Übertreibungen in diesem Fall gewiß nicht verdächtig, mit ihren Prognosen nach dem derzeitigen Stand voll daneben: 53.800 Fahrzeuge, so ihre Schätzung, würden täglich die Brücke passieren. Weit gefehlt. Dem Augenschein nach dürfte es gerade etwas mehr als die Hälfte sein.

Daß es aber einmal zu der ursprünglich prognostizierten Verkehrsdichte kommt, kann und will auch Haases Sprecher nicht ausschließen. Das sei eben „saisonal unterschiedlich“ und werde sich bestimmt noch einpendeln. In dem Maße, wie der Innenstadtverkehr beispielsweise durch Fahrverbote künftig behindert werde, werde auch die Zahl der über die Brücke fahrenden Autos zunehmen, sagt Spahn. Derweil datiert Johannes Pernkopf, Verkehrsexperte der Stadtteilinitiative SO 36, den Beginn der Stau-Saison an der Oberbaumbrücke auf das kommende Frühjahr. Spätestens dann werde der Verkehr auf die vorausgesagte Dichte anschwellen. Bisher hätten sich die Autofahrer offenbar auf die neue Verbindung noch nicht eingestellt, vermutet Pernkopf: „Gewohnheitsmäßig halten sie an den eingefahrenen Routen fest.“

Stau hin, Stau her – all die Spekulationen darüber scheren die alteingesessene Anwohnerin Magda Seitz wenig. Vor der Oberbaumstraße, ihrer „himmlischen Adresse" von einst, graust es ihr inzwischen. Die gebrechliche Frau kann die Piste vor der Haustür nicht einmal mehr überqueren. Statt dessen muß sie nun weite beschwerliche Wege – über eine Art Hindernisparcours aus Baustellen – in Kauf nehmen, um die nächste Fußgängerampel zu erreichen. Und dort – siehe da – staut es sich dann oft tatsächlich: vor lauter Fußgängern, die wegen der fehlenden U-Bahn- beziehungsweise Tramverbindung zur Warschauer Straße zeitweise in einem regelrechten Pendler-Treck gen Friedrichshain ziehen.

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