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■ Bundeswehr: Isolationisten gegen InterventionistenDie jeweils halbe Wahrheit

Es ist schon bemerkenswert, wie „unaufgeregt“, ja fast schon nebenbei, diese Republik Positionen räumt, die über vierzig Jahre geradezu konstitutiv waren. Dabei ist es nicht so, als würde dies im Verborgenen, quasi hinter dem Rücken der Betroffenen passieren. Nein, sogar Tagesthemen-Kommentator Winfrid Scharlau brachte den Vorgang genau auf den Punkt: Wenn die Bundeswehr, in welcher Funktion auch immer, nach Bosnien geht, ist damit eine Schwelle überschritten, hinter die es kein Zurück mehr geben wird. Sein Fazit ist symptomatisch für den überwiegenden Teil der meist schweigenden Mehrheit: Sei's drum, es muß wohl sein. Ohne Aufheulen, aber auch weit entfernt von jeder Begeisterung gibt die deutsche zivile Gesellschaft ihren hinhaltenden Widerstand gegen neue Militäreskapaden auf; als Akt der Resignation. Es muß wohl sein. Es muß wohl sein, weil sonst die Nato ernsthaft Gefahr läuft auseinanderzubrechen, behaupten die einen. Wenn es denn tatsächlich nur um den Rückzug der Blauhelme gehe, müsse man doch mithelfen, ist eine Version, die offenbar mehrheitsfähig ist. Man kann ja schließlich nicht zu allem nein sagen. So wird denn die Bundeswehr den Rubikon überschreiten, ohne daß eine breite außenpolitische Debatte ein neues Selbstverständnis formuliert hätte, das auch parteiübergreifend tragen könnte.

Der Weg zurück an die Front außerhalb des eigenen Verteidigungsbereichs führt trotz Kambodscha, trotz Somalia fast ausschließlich über Jugoslawien. Der Krieg auf dem Balkan hat, stärker noch als zuvor der Golfkrieg, das linke und linksliberale, das antimilitaristische und zivile Lager in Deutschland in eine Polarität getrieben, die zur wechselseitigen Blockade geführt hat. Das hat der Bundesregierung im Verein mit der Führung der Bundeswehr die Möglichkeit eröffnet, ihre Rückkehr in die Weltpolitik im ganz traditionellen Sinne, als Machtpolitik, die sich auch auf die Macht ihrer Armeen stützt, Stück für Stück voranzutreiben und in bewährter Salamitaktik eine Situation zu schaffen, in der es dann (siehe oben) scheinbar keine Alternativen mehr gibt.

Seit das Gemetzel in Bosnien losging, stehen sich in der progressiven, an humanitären Zielen orientierten Öffentlichkeit zwei Positionen gegenüber, die jeweils in sich schlüssig und richtig sind, jeweils auf die andere Position nicht wirklich eingehen und jeweils einen Teil der Konsequenzen unterschlagen, die ihre Durchsetzung nach sich ziehen würde. Auf der einen Seite die Isolationisten. Ausgehend von der Grundüberzeugung, daß der Einsatz von Militär mehr Probleme schafft als löst und insbesondere deutsches Militär auf dem Balkan nur eskalierende Wirkung haben kann, plädieren sie strikt gegen militärische Planspiele und für politische Lösungen, indem beispielsweise Kompromißbereitschaft auf beiden Seiten gestärkt wird. Das schwerwiegendste Argument ist, die Bundesregierung instrumentalisiere die Debatte über den Krieg in Bosnien zur Remilitarisierung ihrer eigenen Außenpolitik.

Für die Interventionisten geht es dagegen ausschließlich um die Rettung von Menschenleben. Ohne den Einsatz von Truppen, die anders als die jetzigen Blauhelme auch den Auftrag haben, Schutzzonen notfalls gewaltsam zu verteidigen und Transportwege auch freizukämpfen, könne der Völkermord nicht gestoppt werden. Die Deutschen könnten aber nicht die anderen auffordern einzugreifen und selber zu Hause bleiben. Die Konsequenz aus der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts sei gerade, sich aktiv an der Verhinderung eines neuerlichen Völkermordes zu beteiligen.

Beides untadelig, beides hochmoralisch und beides doch auch nur die halbe Wahrheit, weil jede Seite sich über einen Teil der Konsequenzen hinweglügt, für die sie dann verantwortlich zeichnete. Tatsächlich hat jeder der Isolationisten gesehen, daß die Unterstützung von Deserteuren, Friedensgruppen und zaghafter demokratischer Opposition allein ab einem bestimmten Zeitpunkt den Krieg nicht mehr verhindern konnte, die Massaker und Vertreibungen durch Verhandlungen nicht gestoppt wurden. Die prinzipiell richtige Position nimmt unausgesprochen und mit schlechtem Gewissen (weil politische Fehler gemacht wurden) de facto den Tod und die Vertreibung der Muslime in Kauf – eben weil es kurzfristig keine Lösung gibt. So wie die Isolationisten angesichts der täglichen Greuel den Fernseher am liebsten abgeschaltet lassen würden, weigern sich die Interventionisten anzuerkennen, daß ein humanitär motivierter Einsatz der Bundeswehr in Bosnien einer Steilvorlage für eine zukünftige Militärpolitik gleichkäme, die dann niemand so gewollt hätte. Es ist ja kein Zufall, daß ein Herr Naumann nicht Generalsekretär von amnesty international, sondern Generalinspekteur der Bundeswehr geworden ist. Auch die Interventionisten werden zugeben, daß die Definition deutscher Interessen und der Mittel zu ihrer Durchsetzung zwischen den beiden Institutionen erheblich differiert. Wer jetzt so tut, als sei die Bundeswehr der bewaffnete Arm einer humanitären Organisation, ist entweder entsetzlich naiv oder betrügt sich um des kurzfristigen Erfolgs willen selbst. Wenn wir einmal dabei sind, da hat Scharlau recht, gibt es kein Zurück mehr. Wenn die Bundeswehr dann demnächst die Freiheit des Westens gemeinsam mit der türkischen Armee gegen die fundamentalistischen Kurden verteidigt, soll niemand sagen, daß habe aber nun mit der Rettung von Menschenleben nichts mehr zu tun.

Wenn das gesamte linke und linksliberale Spektrum jetzt noch Einfluß auch die zukünftige deutsche Militärpolitik nehmen will, müßten beide Seiten ihr jeweiliges Dilemma erst einmal offenlegen, um dann zu sehen, welche gemeinsamen Folgerungen daraus gezogen werden können. Wenn Freimut Duve der Meinung ist, als Konsequenz aus der deutschen Geschichte sollte die Bundeswehr verpflichtet werden, grundsätzlich gegen einen Völkermord, wo immer dieser stattfindet, einzuschreiten, soll er einen entsprechenden Gesetzesvorschlag einbringen. Wenn die Mehrheit des Bundestages dem zustimmt, kann die Bundeswehr sofort nach Sarajevo aufbrechen.

Vielleicht geht es aber auch in etwas kleinerer Münze. Vielleicht könnte die Opposition, zusammen mit den Menschrechtspolitikern aus der Union, ja ein Bundeswehr- Entsendegesetz vorschlagen, das den Rahmen von Bundeswehreinsätzen festschreibt, bevor Rühe sich in Bosnien die letzte Salamischeibe aufs Brot legt, aber auch bevor die Serben endgültig eine Lösung durchgesetzt haben, bei der die Muslime nicht mehr vorkommen. Noch stützt sich die Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr auf eine hypothetische Situation, handelt es sich um einen sogenannten Vorratsbeschluß. Noch wären parlamentarische Initiativen möglich, bevor es tatsächlich zum Marschbefehl kommt. Aber es wird knapp, und die Fakten werden nun weit außerhalb des Machtbereichs des Bonner Parlaments geschaffen. Jürgen Gottschlich

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