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Abschiebung trotz Foltergefahr

■ Kurde aus Bayern trotz Abschiebestopps in die Türkei verschleppt / Gericht sieht Todesgefahr

Berlin/München (taz) – Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) hat den bundesweiten Abschiebestopp für Kurden durchbrochen. Gestern mittag wurde der 35jährige Talip Dogan von München nach Istanbul verschleppt. Der alleinstehende Mann sei maßgeblich an den gewalttätigen Ausschreitungen von Kurden im Frühjahr in Augsburg beteiligt gewesen, begründete Beckstein sein Vorgehen. Der Minister ist fehlorientiert.

Talip Dogan ist Vater von sieben Kindern, die mit ihrer Mutter in der Türkei leben. Dort habe der Mann keinerlei Repressalien zu gewärtigen, sagte Heidrun Piwerneitz vom bayerischen Innenministerium zur taz.

Dabei hatte nach den PKK-Ausschreitungen in Augsburg bereits das dortige Verwaltungsgericht befunden, daß Dogan „bei einer Rückkehr in die Türkei konkrete Foltergefahr droht“. Deswegen lehnte das Verwaltungsgericht am 10. August 1994 den Antrag auf Ausweisung ab. Es hatte Talip Dogan zugute gehalten, daß er seit 14 Jahren aktives Mitglied der PKK ist. 1985 wurde er wegen Besitzes von kurdischsprachigen Presseerzeugnissen zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Freilassung kam er in die Bundesrepublik. Nach den Ausschreitungen in Augsburg wurde er sofort in Untersuchungshaft genommen. Dieses, so die Augsburger Richter, erhöhe die Gefahr „beträchtlich“, sollte er in die Türkei zurückkehren. Dogan unterliege bei seiner Abschiebung in die Türkei in hohem Maße der Gefahr, bei der Einreise verhaftet und in der Haft gefoltert zu werden.

Im bayerischen Innenministerium stießen die Warnungen der Richter jedoch auf taube Ohren. „Uns liegen keine Gründe für die Annahme von Festnahme und Folter vor“, verteidigt Pressesprecherin Piwerneitz ihren Vorgesetzten. Talip Dogan sei zu Recht abgeschoben worden, schließlich seien mehrere Eilanträge gegen die Abschiebung erfolglos geblieben. Bei der Abschiebung beruft sich Beckstein auf eine noch nicht rechtskräftige Verurteilung von Talip Dogan. Ein Jahr auf Bewährung hatte er wegen schweren Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bekommen.

Die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Köhler beurteilt Becksteins Vorgehen als „reinen Sadismus“. Auch sie hält Talip Dogan für höchst gefährdet. „Ihm drohen in der Türkei Folter, wenn nicht gar der Tod.“ Gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts Augsburg habe die Landesstaatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Berufungsverhandlung ist auf den 6.Februar terminiert. Die Abgeordnete fordert, daß Dogan vom Land Bayern dazu wieder eingeflogen wird. Daß Beckstein wider die Absprache mit den anderen Innenministern gehandelt habe, weist sein Büro entschieden zurück. Innenminister Kanther (CDU) selbst habe mit Rundschreiben vom 12.Dezember seine Landeskollegen darauf hingewiesen, daß Straftäter vom vereinbarten Abschiebestopp ausgeschlossen seien.

Auf Becksteins Liste stand gestern noch ein anderer Kurde. Auch ihm wird die Teilnahme an den PKK-Ausschreitungen in Augsburg vorgeworfen. Allerdings hat der Innenminister in diesem Fall beschlossen, bis nach dem 20. Januar zu warten, wenn nach Kanthers Willen der Abschiebestopp aufgehoben wird. A. Rogalla

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