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Sesselkino seltsamer Sorgenkinder

Drei Bier helfen über dramaturgische Schlaglöcher des Publikumsfilms hinweg, und es dient ja einem guten Zweck: Das fsk finanziert damit cineastische Fundstücke–wie in der Wiener Straße auch im neuen Heim am Oranienplatz  ■ Von Anke Leweke

Den viermonatigen Renovierungsstreß hat das fsk-Kollektiv mit links genommen. Die untereinander verwohnte, verwandte und verschwägerte Zelluloidclique bleibt sich und ihren Prinzipien auch im größeren Rahmen treu: Gleiches Geld, gleiche Entscheidungsbefugnis und gleiche Arbeit für alle. „Kleine Filme groß rausbringen“ so ist die Devise des unbeugsamen Teams – auch wenn die Zeiten für Off-Kinos extrem schwierig sind. „Immer mehr Leute gehen in immer weniger Filme. Auf der Strecke bleiben dann die Filme, die ein geringes Werbebudget haben.“

Wie bereits im alten Haus in der Wiener Straße will das fsk cineastische Fundstücke dadurch finanzieren, daß Publikumsfilme nachgespielt werden. Dabei kommen dem Team nur ideologisch einwandfreie Werke ins Haus und in den Projektor. „Heutzutage reicht's ja schon, wenn ein Film nicht reaktionär ist.“

Das überflüssige Moralin von „Und ewig grüßt das Murmeltier“ nimmt man also in Kauf, weil es sich ansonsten um eine gute Komödie handelt. Überdrehte Streifen wie der Thriller „Malice – Eine Intrige“ stopft man in die Spätvorstellung, drei Bier lassen über dramaturgische Schlaglöcher hinwegsehen. „An den Filmen, die wir nachspielen, muß irgendwas dransein“, lautet das knappe Credo. „Mit ,Total Recall‘ haben wir den teuersten Trashfilm aller Zeiten gezeigt.“

Mit ihrem handverlesenen Repertoire-Programm bewahrten die fskler so manchen Film vor dem völligen Untergang, zum Beispiel das Lustspiel „Sein Name war Mad Dog“ mit einem goldigen Robert de Niro in der Rolle eines über beide Ohren verliebten Polizeibeamten.

Ohnehin können auch fleißigste KinogängerInnen kaum dem Affentempo folgen, mit dem „kleine“ Filme heute aus den Kinos fliegen. Hier fungiert das Kollektiv als Auffangnetz für europäische Filmkunst, American Independents und seltsame Sorgenkinder.

Schnell hat das fsk die Filme fürs Repertoire unter Dach und Fach, weitaus langwieriger ist der Entscheidungsprozeß fürs eigentliche Programm. Wochenlang zerbrach man sich den Kopf, ob man Birgit Heins mäßiges Werk „Unheimliche Frauen“ tatsächlich spielen soll. „Wenigstens einer von uns sollte hundertprozentig hinter dem Film stehen. Wir wollen nur unsere persönlichen Favoriten zeigen.“ Hat man sich entschieden, setzt man Himmel und Hölle in Bewegung, um den Wunschfilm ins fsk zu holen.

Die Kopien für eine Jiri-Menzel-Reihe holte das Team persönlich in Prag ab, für Atom Egoyans „Next of kin“ besorgte man einen deutschen Verleih. Meisterwerke wie Herbert Achternbuschs einziger Stummfilm „Hofbräuhaus“ und Jacques Doillons „L'amoureuse“ liefen als Erstaufführungen im fsk. Für letzteres gestaltete man sogar das Plakat: „Wir haben uns überlegt, wie man eine Dreiecksgeschichte am besten bildlich umsetzt. Schließlich malten wir ein rotes Herz mit drei Bögen und einem Pfeil durch.“

Für das liebenswerte Monatsprogrammheft betätigt sich die sechsköpfige Mannschaft auch als Comiczeichner. Auch scheut sich der fskler nicht, Lieblingsfilme mit einem „mir hat besonders gefallen, daß ...“ vorzustellen.

„Jetzt müssen wir erst mal wieder zu Bewußtsein kommen“, stöhnen fünf Männer und eine Frau nach wochenlangem Mörteln, Schweißen und Hämmern. Mit genau derselben Hingabe wie fürs Programm bauten die unermüdlichen Filmfreunde ein Möbelgeschäft zum handgemachten Kino um.

„Die Lichtgestaltung im großen Saal mit seinen 98 Plätzen ist noch nicht ganz ausgereift.“ Gewagte Deckenkonstruktionen verblüffen, kühne Farben irritieren. Mindestens dreimal wurde das kleine Kino neu gestrichen, bis sich das Kollektiv auf einen Ton einigen konnte. „Das Türkis kommt mit den Flugzeugsesseln in den hochaktuellen graublauen Lufthansa- Farben wirklich gut.“

Die neue Adresse des fsk ist Segitzdamm 3 (Nähe Oranienplatz), Kreuzberg, Telefon: 614 24 64.

Heute ist aus verständlichen Gründen keine Vorstellung, morgen gibt's im Kino 1 um 20 Uhr Kieslowskis „Drei Farben Rot“ und um 22 Uhr „Das Piano“ von Jane Campion, beides in Originalfassung mit Untertiteln. Im Kino 2 wird um 19 Uhr „Calendar“ gezeigt, ein kanadisch/armenisch/ deutscher Film von Atom Egoyan (1992, Original mit Untertiteln); um 20.30 Uhr „Amateur“, ein französisch/amerikanischer Film von Hal Hartley mit Isabelle Huppert (1993) und um 22.30 Uhr Chantal Akermans „Die Nacht, der Tag“ (Frankreich/Belgien, 1991).

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