: Milchmädchenrechnung
■ Günther Einert, nordrhein-westfälischer Wirtschaftsminister (SPD), über den Energiekonsens und den "Kohlepfennig"
taz: Herr Einert, der SPD-Bundesvorsitzende Rudolf Scharping hat jüngst erklärt, die SPD werde erst dann wieder an den sogenannten Energiekonsensgesprächen teilnehmen, wenn die Bundesregierung zuvor die nach der Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung notwendige Neuregelung der Finanzierung der deutschen Steinkohle gesichert habe. Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder will dagegen beides verbinden. Sie sind im Verein mit ihrer saarländischen Kollegin gegen eine solche Verknüpfung. Warum?
Günther Einert: Weil es nicht angeht, daß man existierende Vereinbarungen jetzt wieder in den Papierkorb werfen will. Ein solches Verhalten paßt mit Konsensgesprächen nicht zusammen, denn auf einen Partner, der schon bereits abgeschlossene Verträge nicht einhält, kann ich nicht vertrauen. Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung haben vor wenigen Monaten ein Gesetz beschlossen, das die Finanzierung der Steinkohleverstromung bis zum Jahr 2000 regelt. Das Verfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung zum Kohlepfennig nicht den Finanzrahmen gerügt, sondern allein die Finanzierung über den Kohlepfennig. Es geht also jetzt nur darum, die per Gesetz zugesagte Finanzmasse anders aufzubringen. Insofern liegt die Bringeschuld bei der Bundesregierung. Das ist auch völlig unstreitig.
Unstreitig? Bayerns Ministerpräsident Stoiber macht die Zustimmung zur Steinkohlesubvention von einem Ja der SPD zur Kernenergienutzung abhängig. Ohne einen Energiekonsens unter Einschluß der Atomenergie werde Bayern sich an den Kohlehilfen „auf keinen Fall“ mehr beteiligen. Länger als bis zum Jahr 2000 soll der Bergbau nach Stoiber aber selbst dann nicht subventioniert werden. Wie will die Düsseldorfer Landesregierung sich aus dieser Zwickmühle befreien?
Es geht nicht nur nach Herrn Stoiber. Das ist eine genauso primitive Extremposition, wie sie auf der anderen Seite von einigen Grünen vertreten wird, die sagen, wir müssen sofort alle Atomkraftwerke dichtmachen. Das verbuche ich unter ideologischem Extremismus, und das bringt uns in der Sache keinen Millimeter weiter. Auch das, was die Kinkels und Solms im Augenblick dazu äußern, beweist nur, daß die zur Zeit von hysterischen Todesängsten befallen sind, denn sie haben doch die Gesetze erst vor wenigen Monaten mitbeschlossen. Wenn das der neue Stil sein soll, dann kann ich nur davor warnen, sich mit solchen Leuten zu neuen Konsensgesprächen an einen Tisch zu setzen.
Weiter runterfahren wollen auch Teile der CDU die Subventionen. Das von der Koalition beschlossene Artikelgesetz sichert die zur Verstromung notwendigen 7 Milliarden Mark nur bis zum Jahr 2000 zu. Danach ist alles offen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU will diese Summe bis zum Jahr 2006 auf höchstens 2 Milliarden Mark drücken.
Es geht jetzt darum, ein beschlossenes Gesetz in die Realität umzusetzen. Alles andere können wir in den nächsten Jahren regeln.
Ist das nicht sehr kurzatmig gedacht. Wenn pro Arbeitsplatz im Bergbau 100.000 Mark reine Erhaltungssubventionen nötig sind, dann muß es doch ein verstärktes Interesse geben, davon schneller runterzukommen. Man muß doch die Weichen jetzt anders stellen, um etwa die weitere Ausbildung von jungen Leuten zu Bergleuten zu stoppen. Man muß doch davon ausgehen, daß dieser immense Subventionsbedarf auch künftig weiter bestehen wird.
Auch die Verantwortlichen in der Bonner Regierung gehen davon aus, daß wir noch nach dem Jahr 2000 einen bestimmten Sockel der teuren deutschen Steinkohle zur Energieversorgung brauchen. Insoweit vertraue ich auf entsprechende Aussagen des Bundeskanzlers. Wir haben nie um die letzte Tonne Kohle gekämpft, sondern uns immer an einer sozialverträglichen Verringerung der Förderkapazitäten beteiligt. Das wird auch künftig so sein. Ende der 50er Jahre hatten wir allein in NRW über 500.000 Beschäftigte im Steinkohlebergbau. Heute hat die Ruhrkohle AG nur noch 70.500 Beschäftigte, und bis Ende 1996 wird die Zahl bei Einhaltung der geltenden Verträge auf rund 60.000 sinken. Daß das nicht das Ende sein wird, ist unstreitig.
Käme es nicht billiger, man zahlte den Bergleuten ihren Lohn aus und sie blieben zu Hause?
Das ist eine saudämliche Milchmädchenrechnung, denn selbst wenn sie den Bergbau sofort zumachen würden, fielen noch jedes Jahr Milliardenbeträge an: für Altlasten, Wasserführungen, Abtäufungen und und und. Alle diese Kosten sind ja Bestandteil der jetzigen Subventionen. Darüber hinaus muß man berücksichtigen, daß etwa die Ruhrkohle AG heute pro Jahr für rund 10 Milliarden Mark Aufträge vergibt. Fielen die auf einen Schlag weg, gingen in der mittelständischen Wirtschaft sofort mehr Arbeitsplätze verloren als im Bergbau selbst. Interview: Walter Jakobs
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