: „Wir sind für eine politische Lösung“
■ Anwar Haddam, Abgesandter der „Islamischen Heilsfront“ (FIS) in Rom, will Demokratie – in einer islamischen Republik
Die Islamischen Heilsfront (FIS), wurde im Januar 1992 durch die Machtergreifung der Armee um ihren Wahlsieg bei den algerischen Wahlen gebracht. Ihre beide wichtigsten Führer, Abassi Madani und Ali Belhadj, stehen unter Hausarrest. Der Sprecher der FIS im Ausland, Rabah Kebir, hat politisches Asyl in Deutschland gefunden und darf sich politisch nicht betätigen. So führte in Rom denn Anwar Haddam für die FIS die Verhandlungen. Er ist Präsident der Parlamentarischen Delegation der FIS im Ausland und lebt in den USA.
taz: Sie haben den Terrorismus förmlich verurteilt, gleichzeitig aber den „bewaffneten Kampf für eine gerechte Sache“ gerechtfertigt. Wo liegt der Unterschied?
Anwar Haddam: Es gibt den Terrorismus, den wir verurteilen, weil er sich gegen unschuldige Personen richtet, die nicht an militärischen und polizeilichen Operationen beteiligt sind. Und es gibt das Recht eines Volkes, seine verfassungsmäßigen Rechte zu verteidigen, auch militärisch. Die internationale Gemeinschaft muß sich die Frage gefallen lassen, weshalb sie ihre diplomatischen Beziehungen zu einem Regime aufrecht erhält, das die Macht mit Gewalt an sich gerissen hat.
Die FIS akzeptiert also den Dialog. Trotzdem gibt es ja islamistische Gruppen, die den Dialog ablehnen – etwa die GIA (Groupe islamique armé), die ja durchaus terroristisch agiert. Wie wollen Sie die zur Räson bringen?
Sind Sie denn der Pressesprecher der GIA?
Gewiß nicht!
Also können Sie doch nicht behaupten, daß die GIA den Dialog ablehnt. Sie können auch nicht behaupten, daß die GIA eine andere Position als die FIS hat.
Glauben Sie denn, daß es auf seiten der Machthaber einen echten Willen zum Dialog gibt?
Wir fordern die Militärs auf, ihren Willen zu Verhandlungen unter Beweis zu stellen. Deshalb hat unser Präsident Abassi Madani mich in einem Brief förmlich gebeten, in die Verhandlungen über eine Plattform der Opposition hier in Rom eine wichtige Forderung einzubringen: Den FIS-Führern muß das Recht zugestanden werden, sich mit den Führern der Mudschaheddin, und zwar aller Gruppierungen, zu treffen. Da muß dann eine globale Lösung vereinbart werden, an die sich alle halten. Danach werden wir in einem öffentlichen Appell alle Gruppierungen zu einem Waffenstillstand auffordern. Nur wenn unsere Brüder Mudschaheddin beteiligt werden, kann ein Waffenstillstand erreicht werden. Die Hauptfrage ist, ob die Militärs zu einer politischen Lösung der algerischen Krise bereit sind. Und ob sie überhaupt in der Lage sind, ihre Spezialeinheiten zu kontrollieren, die in Algerien 40.000 Tote auf dem Gewissen haben. Wir sind für eine politische Lösung, und solange es die nicht gibt, unterstützen wir den bewaffneten Kampf, um dem Volk seine Souveränität zurückzugeben.
Wird die FIS, wenn sie auf Verhandlungen setzt, nicht zur Zielscheibe radikaler islamistischer Gruppierungen, die jeden Dialog mit den Militärs ablehnen?
Wir sind die Zielscheibe der Armee, die alles unternimmt, um uns zum Schweigen zu bringen.
Ali Belhadj, neben Madani der bekannteste FIS-Führer, hat öffentlich gesagt, das Ziel sei die Errichtung eines islamischen Staats.
Dem algerischen Volk muß das Recht zugestanden werden, selbst zu bestimmen, welches gesellschaftliche Projekt es will. Niemand hat das Recht, ihm das zu verbieten. Hier in Rom sind wir uns einig, daß die verschiedenen Parteien das Recht haben, ihre Programme vorzustellen, und daß das Volk dann das Recht hat, sich frei zu entscheiden.
Trotzdem, was verstehen denn Sie unter einem islamischen Staat?
Eine Republik, die auf einem Mehrparteiensystem, auf dem Prinzip der Wahlen und der Gewaltenteilung beruht, um jede Art von Diktatur, laizistisch oder theokratisch, zu vermeiden – eine Republik also, die auf den islamischen Prinzipien beruht.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen