■ Cash & Crash
: Aids sorgt für strategische Konfusionen

Berlin (taz) – Das Erdbeben von Kobe hat am Montag doch noch die Weltbörsen erreicht. Das Epizentrum lag in Tokio: Absturz um 1.050 Punkte auf ein Zwölfmonatstief aller Werte mit Ausnahme der Bauindustrie. Sehr viel schwächer haben die Kurse in Frankfurt, New York und London nachgegeben, gestern war alles schon wieder vorbei. Der Nikkei- Index schnellte um über 1.000 Punkte nach oben – Erdbeben haben der Börse noch nie dauerhaft geschadet.

Subtiler ist eine andere Frage, über die sich die Analytiker in die Haare geraten. Soll man bei Glaxo oder Wellcome einsteigen? Die Namen stehen für die beiden größten Pharmaunternehmen Großbritanniens. Sie lagen bisher weit hinter dem amerikanischen Branchenführer Merck zurück und machten sich obendrein Konkurrenz auf einem sehr engen Markt.

Denn biotechnisch hergestellte Medikamente werden die heute noch auf chemischem Wege zusammengebrauten Produkte ablösen. Die neue Technik wird zwar billiger sein als die traditionelle Chemie, doch sehr viel Kapital ist nötig, um sie gegen den Widerstand der Kunden und die Vorbehalte der Regierungen durchzusetzen.

Kostendämpfungsprogramme für das Gesundheitswesen in fast allen Ländern ließen in den letzten Jahren die Gewinne der Pharmaindustrie ohnehin schrumpfen. Es wurde eng auch für die Glaxo Plc. Seit Monaten gehen Gerüchte um, daß die Firma einen Partner sucht. Am Wochenende gab Glaxo nun ein Übernahmeangebot an den Konkurrenten Wellcome bekannt – ein Aktientausch im Wert von 8,9 Milliarden Pfund, dem in aller Stille der Hauptaktionär, die „Wellcome-Wohltätigkeitsstiftung“, zugestimmt hat. Der Coup würde zur zweitgrößten Firmenfusion in der britischen Geschichte führen, Glaxo und Wellcome zusammen könnten zu Merck aufholen.

Ein Kooperationsabkommen der beiden Konzerne mit der Warner Lambert Inc. zur Entwicklung eines neuen Aids-Medikaments („3TC“) ist schon im letzten Jahr geschlossen worden. Wer Aids bekämpfen kann, hat den Weltmarkt in der Hand. Trotz dieser strategischen Perspektive ist das Wellcome-Management verärgert. Es war über das Übernahmeangebot nicht informiert worden, eine Sondersitzung soll in dieser Woche entscheiden, ob und wie es abgewehrt werden kann. Der Vorstand bat die Aktionäre, vorerst nichts zu unternehmen.

Der Rat kam zu spät, die Börse reagierte noch schneller und ebenso verwirrt. Wellcome-Aktien stiegen um 39,5 Prozent, Glaxo dagegen gaben um 6,7 Prozent nach. Beides ist verlockend. Weitere Übernahmeangebote könnten Wellcome in noch spekulativere Höhen treiben, ebenso lohnend könnte es aber sein, Glaxo-Anteile zu kaufen, solange verunsicherte Anleger den Kurs mit Angstverkäufen unten halten. Niklaus Hablützel