Short Stories from America: Mega-in: Knäste
■ Wer für schlecht zahlende Zeitungen schreibt, muß eben sehen, wo er bleibt
Das Wirtschaftsproblem ist mir jetzt klar. Nicht das der Vereinigten Staaten – mein eigenes. Ich begriff es beim Kaffee mit Stewart, meinem Mitmoderator für ein wöchentliches Radioprogramm hier in New York. Wir arbeiten für einen hörerfinanzierten Radiosender, und das bedeutet für uns Honorare, die wir euphemistisch als hörerfinanziert bezeichnen. Zusätzlich schreibt Stewart für die linke Wochenzeitung The Nation, wo die Bezahlung nach den Worten des Chefredakteurs „hoch in den zweistelligen Zahlen“ liegt. Ich schreibe für die taz. Und ich schreibe auch für Penthouse, deshalb konnte ich mir überhaupt den Kaffee leisten, den ich mit Stewart trank.
Stewart und ich leben in einer Stadt, in der das Realeinkommen (inflationsbereinigt) seit der Rezession von 1989 nicht mehr gestiegen ist, wie die New York Times zu berichten wußte. Der durchschnittliche Wochenverdienst in New York beträgt 342 Dollar für Leute, die keine höheren Angestellten sind (also Stewart und mich) – was auf ein Einkommen von 17.784 Dollar jährlich hinausläuft. Die offizielle Armutsgrenze in New York liegt knapp über 14.000 Dollar. Die Kluft zwischen Arm und Reich in New York wird immer breiter: Das oberste Fünftel verdiente 1980 21mal mehr als das unterste Fünftel, heute bekommt es 32mal soviel oder durchschnittlich 174.486 Dollar gegenüber 5.435 Dollar jährlich. Das heißt: auf jeden Dollar, den das oberste Fünftel einstrich, bekam das unterste Fünftel drei Cent. 1980 hatten im untersten Fünftel acht von zehn Leuten Arbeit; heute drei von zehn.
Stewart und ich sind vernünftig. Wir verlangen ja gar nicht, daß The Nation oder die taz uns ins oberste Fünftel befördern. Wir – mit zusammen fünf Universitätsabschlüssen – wären allerdings gern im mittleren Fünftel, aber die Zahl der Angehörigen dieser Kategorie ist seit 1980 ständig zurückgegangen.
Deshalb sprachen Stewart und ich über das Wirtschaftsproblem. 1967 empfahl der kluge Mann dem Universitätsabsolventen: Investiere in Plastik. 1995 sagte ich zu Stewart: Gefängnisse. Das ist der Trend.
Ich werde in den Gefängnisbau investieren. Ich habe mir alles genau zurechtgelegt. Die Zahl der Gefängnisinsassen ist in den USA während der letzten fünfzehn Jahre um 900 pro Woche gestiegen, womit Ende 1994 eine Million Menschen im Knast saßen, die höchste Zahl überhaupt in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Die Bundesregierung, die Einzelstaaten und die Kommunen werden dieses Jahr 30 Milliarden Dollar für Gefängnisse ausgeben, gegenüber vier Milliarden 1975. Nach Angaben der Statistischen Bundesbehörde steigerten die Einzelstaaten ihre Ausgaben für Gefängnisbauten zwischen 1979 und 1990 um 612 Prozent; heute schießen die Staatsausgaben für Gefängnisse zweimal schneller in die Höhe als alle anderen Staatsausgaben zusammen. Allein der Staat New York hat sein Gefängnisbudget in den letzten elf Jahren verdreifacht.
Diese Zahlen gelten alle für die Zeit, bevor im letzten Herbst die Bundesregierung und mehrere Einzelstaaten das Gesetz „drin nach dem dritten“ verabschiedeten. Dieses Gesetz, auch als Geriatriegesetz bekannt, fordert Lebenslänglich für jeden, der dreimal wegen irgend welcher Verbrechen verurteilt wurde, auch wenn die Rate begangener Verbrechen nach dem 35. Lebensjahr deutlich absinkt und nach dem 40. bis 45. Lebensjahr gegen null tendiert – dem Lebensalter, in dem Gefangene traditionell auf Bewährung freigelassen wurden. Zusätzlich verschärfte der Kongreß im letzten Jahr die Strafen für viele Delikte, wodurch sich die Dauer des Gefängnisaufenthalts für viele verlängert und dementsprechend auch die Zahl der für den neuen „Verbrechensboom“ benötigten Gefängniszellen steigt.
Gefängnisse sind eine Wachstumsbranche. Leute mit bescheidenen Rücklagen wie Stewart und ich sollten beim Fundament anfangen. Ich würde ja lieber in den Schulbau investieren, aber die Regierung streicht diesen Bereich zusammen. Alternativ könnte ich auch – wie Newt Gingrichs Mammi letzte Woche – Hillary Clinton im Fernsehen als „Miststück“ bezeichnen und mir auf diese Weise schnellen Ruhm erwerben (und dazu die üblichen Buch- und Lesungsverträge). Seit den Novemberwahlen ist Newt der mächtigste Mann im Repräsentantenhaus. Der Vorschuß auf sein neues Buch belief sich auf 4,5 Millionen Dollar, und wenn er ihn nach einer Welle schlechter Publicity auch zurückgegeben hat, wird er die Summe in Tantiemen schnell wieder rein bekommen. Ich wüßte ja gern, wie hoch der Vorschuß für Newts inzwischen berühmte Mammi ist? Oder... für mich? Alternativ würden Stewart und ich uns aber auch mit einer Honorarerhöhung begnügen. Marcia Pally
Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning
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