: "Die Stunde der großen Vereinfacher"
■ Interview mit dem Biologen Nikolaus Geiler vom "Arbeitskreis Wasser" im BBU über Patentrezepte gegen das Hochwasser / "Jeder Fluß ist ein Individuum" / Jedes Hochwasser hat seine eigene...
taz: Das zweite Jahrhundert- Hochwasser in 13 Monaten. Werden wir diesmal etwas daraus lernen?
Nikolaus Geiler: Nachdem die Umweltverbände jahrelang auf die Ursachen hingewiesen haben, sollten allmählich die Zusammenhänge zur Waldvernichtung, zur Versiegelung, zur Intensivierung der Landwirtschaft und zu den Flußbegradigungen klar sein. Die Politik steht hier schon lange unter Zugzwang. Auf der anderen Seite habe ich den Verdacht, daß nach den Wasserbauingenieuren, die jahrzehntelang mit Beton und Stahlspundwänden das Hochwasser bekämpfen wollten, jetzt die Stunde der Vulgär-Ökologen schlägt, die ihr Patentrezept der Entsiegelung, Entgradigung und Extensivierung verkaufen.
Im Prinzip haben diese Leute doch recht. Warum dann so polemisch?
Man wird irgendwann feststellen, nachdem man nach Kräften entgradigt und entsiegelt hat, daß die Ströme trotzdem noch über die Ufer treten.
Dann ist die Renaturierung der Flußlandschaften also das falsche Konzept?
Durchaus nicht. Aber jeder Fluß ist ein Individuum. Und jedes Hochwasser hat seine individuelle Entstehungsgeschichte. Die Mosel ist überhaupt nicht vergleichbar mit dem Rhein. Der Oberrheingraben ist 50 bis 60 Kilometer breit, dort konnte sich die Hochwasserwelle früher in den Auen totlaufen. Wenn man die wiederherstellt, kann man tatsächlich ein beträchtliches Rückhaltevermögen schaffen. Das geht bei der Mosel nicht, weil sie sehr eng eingeschnitten ist zwischen Hunsrück und Eifel. Dort hat man diese Überflutungsflächen nie gekannt. Deshalb ist es an der Mosel fast unmöglich, einen wirksamen Hochwasserschutz herzustellen. Der Oberrhein ist ein Ausnahmefall.
Und das wird dann häufig übersehen?
Wenn „Land unter“ ist, schlägt die Stunde der großen Vereinfacher. Dann werden schnell falsche Hoffnungen bei der Bevölkerung geweckt. Die Flußlandschaften ein bißchen renaturieren, und alles wird gut. Nur: Die Entsiegelung und Entgradigung wird einige Zentimeter bringen. Doch hier geht es um viele Meter. Wenn es zu solch massiven Regen-Ereignissen kommt wie etwa an Weihnachten 1993, dann werden wir trotzdem ein Hochwasser haben. Damals hatten wir 400 Prozent mehr Regen als im langjährigen Dezember- Mittel. Da darf man sich nicht wundern. Der Deutsche Wetterdienst – und das finde ich wirklich spannend – hat jetzt erklärt, daß es Indizien dafür gibt, daß sich die Niederschläge jahreszeitlich verschieben. Im Winter regnet und schneit es mehr als bisher, im Sommer dafür weniger. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wenn wir offenbar einen Klimawandel erleben, dann wird es auch weiterhin zu solchen Hochwassern kommen.
Dann ist die Flut also eher eine Folge der Klimaveränderung als das Resultat der Bausünden und Beton-Orgien?
Es gibt eine Schwierigkeit: Wir können gegenwärtig noch nicht mit letzter Sicherheit sagen, daß hier wirklich eine Klimaverschiebung vorliegt. Vieles deutet darauf hin. Wenn sich die Anzeichen dafür in den nächsten Jahren verstärken, dann muß man die häufigen Hochwasser als einen der ersten Effekte des Klimawandels ansehen. Dazu gehört übrigens auch die enorme Zunahme der Sturmfluten an der Nordsee.
Klimapolitik also als Hochwasserschutz?
Es wird uns nichts übrigbleiben, als über viele Jahrzehnte den Ausstoß der Treibhausgase zu reduzieren. Die Renaturierung der Flußlandschaften ist allerdings ebenso sinnvoll und notwendig. Schließlich geht es nicht nur um das Hochwasser, sondern auch um den Lebensraum von Tieren und Pflanzen und um die Grundwasserneubildung.
Einen kurzfristigen Schutz gegen Hochwasser wird es aber nicht geben?
Dazu müßte man die Einzugsgebiete der Flüsse mit Hochwasserrückhaltebecken zupflastern. Das ist weder ökologisch sinnvoll noch politisch durchsetzbar. Und schon gar nicht bezahlbar.
Die Bundesländer entlang des Rheins sind schon lange aufgerufen, Überflutungszonen zu schaffen. Warum passiert da nichts?
Das klappt nicht wegen der großen Widerstände der Anrainer, die dort leben, wo die Dämme zurückgelegt werden sollen. Das fängt beim Schäferhundezüchterverein an, der sein Trainingscamp in den Rheinauen hat. Dazu kommen große Industrieansiedlungen, die sakrosankt sind. Und selbst die Umweltverbände streiten sich noch, welche Variante der Polderung die beste ist. Südlich von Freiburg gibt es ein großes Trockenareal, das sich durch die Rheinbegradigung gebildet hat. Das ist inzwischen der größte Trockenwald Deutschlands. Dort leben seltene Käfer und Schmetterlinge in einem einmalig artenreichen Biotop. Wenn dort plötzlich Überflutungszonen und ein Auenwald geschaffen werden sollen, führt das natürlich zu Konflikten.
Wie hoch muß die Flutwelle sein, bis die Restvernunft sich durchsetzt?
Das Hochwasser 1993 hat jedenfalls nicht ausgereicht. Beispiel Trebur in Südhessen: Dort gab es gegen einen geplanten Fließpolder einen solch beinharten Widerstand der Anliegergemeinden, daß zuletzt sogar der grüne Umweltminister kapitulierte.
Wir brauchen also erst die ganz große Flut mit noch mehr als 16 Toten und riesigen Milliardenschäden.
Selbst dann wäre ich skeptisch, ob das in unserer Gesellschaft einen durchschlagenden Effekt hätte.
Interview: Manfred Kriener
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen