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Ohne zu ähen oder zu öhen

Nebenwirkungen sind ausgeschlossen bei diesem Tranquilizer für Zwanzig- und Dreißigsomethings – aber gut gemacht sind die „Theatersport“-Improvisationsübungen im BKA-Zelt sicher  ■ Von Peter Unfried

Volles Theater = gutes Theater? Oder bloß Mehrheiten-Theater? Gibt es letzteres überhaupt? Was man weiß: Das Improvisationstheater „Theatersport“ läuft in der studentischen Idylle Tübingen seit nun fünf Jahren, und Regisseur Volker Quandt kann sich nicht erinnern, wann „wir das letzte Mal nicht ausverkauft waren“. Vergangenen Freitag hat man im BKA- Zelt neben der Philharmonie die große Stadt in Versuchung geführt – und es war ebenfalls voll. Die Frage freilich ist: warum?

Weil „Theatersport“ mehr Sport ist und weniger Theater? Es mag so scheinen: Da ist also der conférencierende Spielleiter, Regisseur Quandt himself, da sind zwei Teams namens „TSC Fortuna Faust“ und „Spvgg. Coole Rampe“, und da ist der Wettbewerb, dem sich die Teams aussetzen. Vordergründig. In Wahrheit ist es eine darwinistische Schauspielerauslese, in deren Verlauf gnadenlos geklärt wird, wem Begabungen, wem nur Techniken zur Verfügung stehen.

„Die besten Schauspieler“, das hat der Engländer Keith Johnstone, in den späten 50ern Begründer und seither Rechte-Inhaber des „Theatre Sports“ postuliert, „sind immer zugleich auch große Improvisationstalente.“ Darum geht es: Nicht Reproduktion, sondern Improvisation. Das Ganze möchte Ausbildung, möchte Therapie sein. Und ist, wird zügig klar, ein schwieriges Geschäft. Perfekte Spontanität bleibt ein unerreichbares Ziel.

Konkret: Im ersten Wettstreit gilt es, eine vom Publikum vorgegebene Geschichte etwa namens „Der zerlauste Ritter“ zu entwickeln, ohne zu stocken, zu ähen, zu öhen. Wer sich, wie Schauspieler Johannes Hitzblech, als unfähig erweist, muß zur Strafe sein Ableben inszenieren, ebenfalls vom Publikum vorgegeben, sagen wir: in einem Raumschiff, von einem Radiergummi gemeuchelt.

Ein angedeuteter Boxring, zwei Auswechselbänke, eine herrlich unbegabte Assistentin, ein Minimalfundus an Kleidern, Mützen, diversen Kleinrequisiten, ein quizmasternder Conférencier Quandt und seine dreiste Vorgabe, es sei „nichts vorher abgesprochen, alles spontan und live“. Das ist gewaltig übertrieben, natürlich.

Die Improvisation findet in einem manchmal dichteren, manchmal lockeren Sicherheitsnetz statt, das der Spielleiter selbst spannt, indem er die Publikumsvorgaben filtert und steuert. Die Schauspieler haben sich in einem mehrwöchigen Trainingslager Techniken und Szenenanlagen erarbeitet: Im Wettbewerb geht es darum, das Antrainierte mittels Improvisation in das verlangte Thema umzusetzen.

Das gelingt oft, nicht stets. Singt Sie: „Vielleicht sollt' ich etwas suchen“, antwortet Er – na? – genau: „Unter diesen alten Buchen.“ Womit das Ziel eines schöpferischen Akteurs, der sich statt banaler Reproduktion die wahren, die eigenen Geschichten entreißt, erreicht ist – oder auch nicht.

Katharsis, Reinigung, ersehnte, finden auch die Zuseher. Vermutlich. Die Beteiligte sein müssen. Das Informelle ist Prinzip, die Distanz zwischen Bühne und Raum wird zwar nicht überwunden, doch verringert, die Beziehung entkrampft. Es gibt Zuseher, die diese Distanz fast vollständig überwunden haben. Den Tübinger Alltime- Rekord hält angeblich eine Studentin mit 45 Besuchen. Tatsächlich: sind „Theatersport“-Veteranen Aktive, die an ihren Auftritten ebenfalls gearbeitet haben, die ihre Sprechbeiträge zu Hause überlegt und ausgefeilt haben, die mit befreiender Freude das „Dionysische im Menschen“ (Edward Bond), ergo in sich aufzustöbern suchen.

Dies Streben treibt auch die auf der Bühne. Gehen sie zu weit („Mein Name ist Wolfgang. Das ist mein See.“), werden sie vom rigiden Spielleiter Quandt wegen „Gaggings“ oder langweiligen Spiels mit einer gelben Karte gebremst. Am Ende hat die „Coole Rampe“ mit 27:20 gegen „Fortuna Faust“ gewonnen. Allerdings, wie man branchenüblich zu sagen pflegt: Das Spiel hätte auch andersherum ausgehen können! Die Sieger und Verlierer – insofern ist das Spiel sehr existentiell – sind über beide Teams verteilt. Wer nicht gut ist, dem droht im übrigen beim nächsten Mal tatsächlich die Tribüne.

Das Ganze, es muß nun gesagt werden, ist Trash. Insofern ist es ein Zeichen der Zeit, deshalb die Resonanz logisch und konsequent. Gut gemacht, wie man so leichtfertig sagt. Garantiert ohne Nebenwirkungen. Eigentlich genau wie das, was es zu sein vorgibt: eine Fernsehsendung. Und also: ein Tranquilizer. Auch eine Flucht. Nicht, daß man blöd davon wird. Nur auch nicht schlauer. Zwanzig- und Dreißigsomethings müssen „Theatersport“ lieben.

„Theatersport“ kann man mit Volker Quandts Harlekin-Truppe noch bis 12.3. treiben, jeweils Mittwoch bis Sonntag um 20 Uhr im BKA-Zelt neben der Philharmonie, Tiergarten. Weitere Termine folgen im Mai und September.

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