: Wie war's denn wirklich?
■ "Erzähltes Leben" in der KulturBrauerei: Detlef Berentzen sprach mit Frank Castorf
Nur Gott allein weiß, warum Detlef Berentzen sich zum Talkmaster berufen fühlt. Uns Erdenbürgern bleibt da nur die Spekulation. Von allen hat er ein bißchen geklaut – und sitzt wie ein einziges Fragezeichen in einem dieser pudelblonden Breitcordsessel, die man sonst nur noch auf dem Sperrmüll findet.
Berentzen, die fleischgewordene Kopie, pafft Pfeife (Wolfgang Menge), nippelt am Bier (Alfred Biolek), trägt eine schwarze Weste überm verwaschenen Hemd (Giovanni di Lorenzo), schielt so unauffällig wie möglich auf seine weißen Karteikarten und tut beim Fragen ganz spontan (Thomas Gottschalk). Und er tremoliert mit Augenaufschlag, als suche er „die Person hinter den Worten“ (Margarethe Schreinemakers).
Der Journalist ist also dem wahren Leben hinter der Ware Leben auf der Spur, weshalb der Wessi die KulturBrauerei am Prenzlauer Berg einmal im Monat aufsucht, immer am letzten Mittwoch, um mit seinem planlosen Plausch called „Erzähltes Leben“ die Menschheit zu beglücken. Berentzen sollte dankbar sein, daß ihm diesmal Frank Castorf gegenübersaß, der Kiez-Hausmeister vom Prenzlauer Berg und bodenständige Chef der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Castorf hat in seinem kurzen Dasein als Kritikerschreck und Berufsprolet schon so viele schlechte Gespräche mit Journalisten geführt, die ihn alle nicht verstehen wollen, daß er ihre Fragen inzwischen einfach überhört. So schützt er sich und sein Immunsystem vor Journalisten, die „immer ganz anders sind als die anderen Journalisten“. Wie man sich wohl so fühlt, wenn man mit stumpfsinnigen Fragen bombardiert wird?
1:0 schon nach der ersten Frage
Die allererste von Detlef Berentzen war von erstaunlich existentieller Bedeutung: „Herr Castorf, Ihr Vater war Händler. Womit hat er eigentlich gehandelt?“ Der Beelzebub des deutschsprachigen Theaters, noch ganz braun im Gesicht vom Skiurlaub, wird weiß vor Wut und klärt erst mal die Fronten: „Ich bin empört, daß Sie das nicht wissen. Wahrscheinlich kommen Sie aus dem Westen!“
Castorfs Vater, wen's interessiert, war Eisenhändler, und nur so kann sich der Sohn seinen Wunsch nach Stahlgewittern erklären. Das Publikum, kiezansässige mittelalte Intellektuelle, lacht. 1:0 für Castorf, und bei diesem Stand bleibt es auch nach zwei Stunden.
Schön an diesem Abend war es, Castorf zu beobachten. Wie er seine Hände knetet, tief Luft holt, die Haare hinters Ohr klemmt, seine Aufregung wegredet. Über Privates ließ er sich nicht aus, da bat er um Verständnis. Dafür schimmerte durch all seine Ausführungen eine tiefe Enttäuschung, die sich inzwischen auch in seinem Gesicht ablesen läßt. Eine Enttäuschung darüber, daß die Wende so gelaufen ist, wie sie gelaufen ist.
Castorf unterscheidet sich in seinem Lamento hierüber in nichts vom Ossi auf der Straße, der bei Umfragen in West-Mikrofone die alte DDR betrauern darf. Der Theatermacher formuliert nur wohlfeiler. In Hamburg etwa, wo er jüngst Elfriede Jelineks „Raststätte – Oder sie machens alle“ am Deutschen Schauspielhaus inszenieren durfte, hätte er kotzen können: „Die tun da so, als gäbe es die Ostzone nicht. Die leben, als wär' nichts gewesen.“
Und im übrigen: Der Westen „ist ein Volk von Individualisten“, im Osten „redet man noch mit dem Milchmann“. [Wo bitte, Frankie- Boy, gibt es solche Kämme, über die man alle scheren kann?? d. säzzer & West-Individualist!] Im Westen werde die „Fetischisierung von Information“ betrieben, niemand frage, „wie es wirklich war“.
Detlef Berentzen schon gar nicht, der klebt an seinen Karteikarten und will, als hätte er es mit einem Debilen zu tun, doch tatsächlich wissen: „Lief die Annäherung ans andere Geschlecht gut?“ Castorf ignoriert solche und ähnlich katastrophale Fragen, etwa die, ob seine Abiturfeier „noch erinnerbar“ sei.
Er redet sich seinen Unmut von der Seele, und man bekommt das Gefühl, der Mann ist zutiefst pessimistisch. Sein Frustventil ist das Theatermachen, weshalb er mit Vorliebe Klassiker zertrümmert: Den Kleinbürgern den Spiegel vorhalten, lautet sein Credo, sie geistig nachhaltig verwirren, sie provozieren und aus ihrem westlich saturierten Mief stoßen.
Die Nostalgie kam nach dem Mauerfall
Einmal hält Castorf inne und sagt, wie zu sich selbst: „Manchmal kommen Erinnerungsbilder in mir hoch – und dann weiß man, daß es besser war.“ Einen Ausreiseantrag habe er nie gestellt, weil „ich wußte, daß die DDR meine Kiste war“. Zum DDR-Nostalgiker ist Castorf allerdings erst lange nach dem Mauerfall geworden, beichtet er.
Eigentlich hat der Mann, der die Welt auf der Bühne witzig persiflieren kann, nur Fragen, keine fertigen Antworten. Er lebt in seiner Theaterwelt, um zu gucken, „ob die Welt überhaupt erkennbar ist“. Womöglich ist sie es nicht, denn: „Ich zweifele in letzter Zeit immer mehr daran“. Thorsten Schmitz
Zu Gast bei Detlef Berentzen am letzten Mittwoch im März: Hans- Joachim Maaz, Psychotherapeut aus Halle, KulturBrauerei, Dimitroff-/Ecke Knaackstraße, Prenzlauer Berg.
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