: Dein Gen gehört mir
Heute stimmen die Europaparlamentarier über die „Lex Gentechnik“ ab. Wenn sie durchkommt, ist der Weg zur Patentierung menschlicher Gene und ganzer Zellen endgültig frei. Für die körpereigenen Stoffe, die damit produziert werden und die in der Medizin eingesetzt werden sollen, kassiert die Gen-Industrie dann Lizenzgebühren ■ Von Wolfgang Löhr
Sollen künftig menschliche Gene zum Patent angemeldet werden können? Soll das menschliche Erbgut in die Verfügungsgewalt der Gentech-Industrie gestellt werden? Diese zukunftsträchtige Entscheidung steht heute auf der Tagesordnung des Europäischen Parlaments.
Mit der Patentierungsrichtlinie, über die die Europaabgeordneten heute abstimmen – und die wahrscheinlich eine Mehrheit bekommt –, wird nicht nur die Vergabe von Patenten auf Pflanzen und Tiere auf eine rechtliche Basis gestellt. Vorgesehen ist auch, daß künftig die Patentämter Monopole für die Verwertung von Teilen des menschlichen Körpers vergeben dürfen: Zellen, Proteine oder Genabschnitte, wie sie in jedem menschlichen Körper zu finden sind, als „Erfindungen“ der gentechnischen Industrie. Für Christoph Then von der bundesdeutschen Koordinationsstelle „Kein Patent auf Leben“ wird damit „die Karte des menschlichen Genoms zu einer neuen Wirtschaftsgeographie mit speziellen Zollrechten und wissenschaftlichen Pfründen entwickelt“.
Wirtschaftliche Interessen waren es auch, die vor sieben Jahren die Brüsseler Kommission veranlaßte, eine „Lex Gentechnik“, die „Richtlinie über den rechtlichen Schutz Biotechnologischer Erfindungen“, auf den Weg zu bringen. Die „erheblichen Unsicherheiten“ im europäischen Patentrecht sollten beseitigt werden. Der Industrie müsse die Möglichkeit gegeben werden, „die hohen und risikoreichen Investitionen für die Forschung und Entwicklung im Bereich der Gentechnik“ abzusichern.
Dabei sind Patente auf Pflanzen und Tiere bei dem Europäischen Patentamt (EPA) in München schon seit Jahren gängige Praxis. Denn obwohl nach dem bestehenden Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) Pflanzensorten und Tierarten von der Patentvergabe ausgenommen sind, gingen auch ohne die rechtlichen Vorgaben aus Brüssel die Patentämter mit vorauseilendem Gehorsam voran.
Mit „juristischen Klimmzügen“ bogen sich die Patentschützer das bestehende Patentrecht zurecht. So bezieht sich das erste Tierpatent, das im Jahre 1991 vom EPA für die berühmt gewordene genmanipulierte „Harvard-Krebsmaus“ vergeben wurde, nicht auf die Tierart, sondern gleich auf die Gruppe aller mit dem Krebsgen ausgestatteten Nagetiere. Damit sind zwar auch die einzelnen Nagetierarten selbst patentgeschützt – aber dieser Widerspruch zum Patentrecht interessierte die Patentschützer nicht weiter.
Die Krebsmaus kann auch als abschreckendes Beipsiel dafür genommen werden, wie sich das Patentrecht auf den Forschungsbetrieb auswirken kann. Die Maus, die von dem Chemikonzern Du Pont unter dem Produktnamen „OncoMouse“ vermarktet wird, ist so manipuliert worden, daß sie innerhalb kurzer Zeit an Krebs erkrankt. Sie ist als Tiermodell zur Erforschung von Antikrebsmitteln in Forschungslaboratorien gedacht. Wissenschaftler, die von Du Pont die Kebsmaus beziehen, müssen sich gleichzeitig dazu verpflichten, den Chemiekonzern an allen kommerziell verwertbaren Forschungsergebnissen finanziell zu beteiligen. Selbst die eigene Zucht ist ihnen untersagt.
Patente auf menschliche Gene werden ebenfalls schon seit langem vergeben. Als ein Beispiel führt Patentgegner Then einen Antrag des Forschers Ernst-Ludwig Winnacker vom Genforschungszentrum München an. Zusammen mit der Hoechst AG hat er vom EPA die Verwertungsrechte für ein Interferon- und Interleukin-Gen erhalten. Bei diesen beiden Substanzen handelt es sich um Botenstoffe, die das menschliche Immunsystem regulieren und als Pharmazeutika eingesetzt werden können. Die Gene sollen in Bakterien oder andere Zellkulturen eingesetzt werden, um diese Stoffe zu produzieren.
Der Patentschutz umfaßt jedoch nicht nur die Substanzen, die mit dem Gen hergestellt werden: Sollten die Gene zum Beispiel bei einer Gentherapie eingesetzt werden – bei dieser Methode werden sie direkt in die Körperzellen des Patienten eingeführt –, wären Lizenzgebühren an die Patentinhaber fällig.
Nach Angaben von Then „sind inzwischen weltweit einige hundert menschliche Gene patentiert“. Das schwedische Unternehmen Kabi Pharmacia ist im Besitz einer Gensequenz, die ein Forscherteam bei den Bewohnern einer kleinen italienischen Ortschaft am Gardasee entdeckte. Das Gen ist verantwortlich für ein seltenes Protein, das zur Senkung des Cholesterinspiegels eingesetzt wird. Der Schweizer Chemiekonzern Hoffman LaRoche hat das Genpatent für das Wehenhormon Relaxin, das im Eierstockgewebe von schwangeren Frauen gebildet wird, zugesprochen bekommen.
Inzwischen gehen die Patentschützer noch weiter. Unter der US-Patentnummer 5.061.620 erteilte das US-Patentamt am 29. Oktober 1991 zum erstenmal ein Patent für einen unveränderten Bestandteil des menschlichen Körpers. Die kalifornische Gentechfirma Systemix, die mehrheitlich zum Chemimulti Sandoz gehört, erhielt die Verwertungsrechte für menschliche Stammzellen des Knochenmarks, aus denen sämtliche Blutzellen erzeugt werden. Sollte sich das Patent bestätigen, werden in Zukunft vor jeder Behandlung von Kranken mit diesen Stammzellen Lizenzgebühren an Systemix fällig.
Zum erstenmal wurde damit ein Monopol auf ein völlig unverändert gebliebenes Körperteil vergeben. Den bisherigen Gipfel der Patentierungsbemühungen erreichte im letzten Juni Craig Venters von der US-Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH). Sein 400seitiger Patentantrag für insgesamt 337 Gene, die er im menschlichen Gehirn entdeckt hatte, ging selbst vielen Patentbefürwortern zuweit. Venters kannte weder die genaue Zusammensetzung der Gene noch deren eigentliche Funktion. Einige Monate später reichte er eine zweiten Antrag für weitere 2.000 Gehirngene ein. Er spekulierte darauf, daß zumindest ein Teil der Gene später wirtschaftlich verwertbar sind. Das Vorgehen Venters löste unter den Genforschern eine Protestwelle aus. Als „blanken Wahnsinn“ bezeichnete der Gentech-Pionier und Mitentdecker der DNA-Doppelhelix, James Watson, die Patentanträge. Kollegen von Watson vermuten, daß dies auch der Anlaß für den renommierten Genforscher war, seinen Posten als Leiter des US-Genom-Projekts, das die Sequenzierung der gesamten menschlichen DNA zum Ziel hat, aufzugeben. Der weltweite Protest brachte Venter schließlich dazu, seine Anträge zurückzuziehen.
Ob das US-Patentamt ihm die Patente zugesprochen hätte, blieb ungeklärt. Aufgegeben hat Venters aber noch nicht. Er hat sich selbständig gemacht und will seine Gendatenbank, in der inzwischen 150.000 Gen-Sequenzen gespeichert sind, an seine Forscherkollegen nur dann weitergeben, wenn er an den daraus erwirtschafteten Gewinnen beteiligt wird.
Nach der Europäischen Patentrichtlinie werden Anträge wie der Venters' unzulässig sein. Menschliche Gene sollen zwar patentfähig sein, wenn sie vom Körper isoliert worden sind – aber nur dann, wenn ihre Funktion bekannt ist. Für Hiltrud Breyer, Europaabgeordnete der Grünen, geht schon dies zu weit: Sie spricht sich grundsätzlich gegen die Patentierung des menschlichen Genoms aus.
Schon einmal, im Mai 1994, haben die Europaparlamentarier über Patente auf Menschengene abgestimmt – und abgelehnt. Die jetzt vorliegende Fassung der Patentrichtlinie ist vor allem auf den SPD-Abgeordneten Willi Rothley zurückzuführen, der auch schon Kritik von seinen Parteikollegen dafür einstecken mußte. Sollten die Europaabgeordneten sich heute mehrheitlich gegen die Annahme der vorliegenden Patentrichtlinie aussprechen, so ist sie vorerst vollkommen vom Tisch. Die EU-Kommission müßte dann einen völlig neuen Entwurf vorlegen. Die Patentvergabe läge dann weiterhin allein in den Händen der Bürokraten beim EPA. Die Ablehnung würde auch, so warnte Rothley schon im vergangenen Jahr mit dem üblichen Standortargument, „zu einem Exodus der pharmazeutischen Industrie aus der Europäischen Union führen“.
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