: Didaktisches im Sinn
■ Weimar zeigt Teile der Sammlungsschenkung Paul Maenz
Im ersten Ausstellungsraum stehen zwei Wörter auf einen Sockel geschrieben: „MOMA“ und „Guggenheim“. Sie zeigen an, daß man nicht mehr in Weimar, dem „Herz der Deutschen Klassik“, ist, nicht mehr in der Welt Goethes und Schillers oder Sittes und Heisigs, sondern die Welt der westlichen, modernen Kunst betreten hat, von der das Museum of Modern Art neben dem Guggenheim Museum in New York die Tore sind. Manche Besucher des Schloßmuseums scheinen das nur gar nicht zu wissen – und genau das macht diese Ausstellung erst wirklich didaktisch; es beweist, daß auch moderne Kunst des Westens ein Code ist, den man lernen muß. Hinter den Bronzeworten von Jiri Dokoupil stehen zwei weitere Kunstwerke, deren Zusammenhang nicht minder didaktisch ist. Ein nackter Jüngling Rodins (cirka 1880) hebt gelassen seine Arme vor einem ausgelassenen Graffiti- Tuch Keith Harings von 1984.
Die Ausstellung trägt den Titel „Moderne trifft Klassik“: Vor einem Jahr übergab der ehemalige Kölner Galerist Paul Maenz den Kunstsammlungen zu Weimar einen Teil seiner privaten Sammlung. Damit ist Weimar die erste Stadt in der ehemaligen DDR, die über eine große Kollektion der westlichen Avantgarde aus den letzten 30 Jahren verfügt. Bislang gab es Westkunst nur als museales Gastspiel. Die 150 Bilder und 200 Zeichnungen sollen in das Gebäude des ehemaligen Landesmuseums einziehen. Zur Zeit steht dort aber nur eine Ruine, die bis spätestens 1999 restauriert werden soll, wenn Weimar Kulturhauptstadt Europas ist. Jetzt wird, wie ein Vorgeschmack, ein Teil der Sammlung in fünf kleinen Räumen des Schloßmuseums gezeigt.
Maenz' Sammlung umfaßt entscheidende Stilrichtungen der Avantgarde – von Minimal Art bis zur Arte Povera oder Transavantguardia und Neue Wilde – und könnte deshalb als lokale Bildungsstätte ausgezeichnet funktionieren. „Colonna“, ein verhältnismäßig großes Ölgemälde von Salvo, zählt zum Beispiel zu den schönsten, die der italienische Künstler je produziert hat. Seine scharfen, süßen Farben der Bäume und Säulen leuchten durch den ganzen Raum. Die Sammlung ist im Schloßmuseum mehr oder weniger chronologisch gehängt worden; Judd, Manzoni, Kiefer und Kosuth teilen sich einen Raum, ebenso Salvo, Paolini und Chia.
Was in Weimar mehr als anderswo auffällt, ist die Freiheit der Kunst, die man sich im Westen erkämpft hat. Dementsprechend sind in der Sammlung zeitgenössischer Kunst auch weniger Wächter postiert als in den Sälen mit Arbeiten Lucas Cranachs und Caspar David Friedrichs. Was soll man auch bewachen, wenn die Besucher selbst über die Kunst laufen dürfen, wie etwa bei Carl Andres kupfernen Platten? Viele der Arbeiten wirken hier wie ein fröhlicher oder spitzer Kommentar auf die älteren Kunstschätze Weimars. Und höchst zfrieden sieht man nun, daß Piero Manzonis Dose „Künstlerscheiße“ (1961) strategisch vor einem Fenster plaziert worden ist, hinter dem man das Haus Goethes wie auch das KZ Buchenwald vermuten kann.
Paul Maenz will mit seiner Sammlung „Teil der Weimarer Tradition“ werden. Man kann nur hoffen, daß ihm dies, einem modernen Harry Graf Kessler ähnlich, gelingt, und daß Weimar ein Anziehungspunkt für Gegenwartskunst werden kann. An anderer, nicht weniger prominenter Stelle dagegen bekommt die moderne Kunst eher Servicecharakter: In den Korridoren des schicken, 1993 ebenfalls grundlegend überarbeiteten „Hotel Elephant“ hängen Zeichnungen von Baselitz, Penck oder Chia, und im Speisesaal hat Dokoupil die Wände mit Szenen aus den „Nibelungen“ bemalt. Wieder trifft ein Moderner die Klassik. Bianca Stigter
„Werke aus der Sammlung Paul Maenz. Bilder, Objekte und Installationen seit den sechziger Jahren“. Schloßmuseum, Gemäldegalerie, Weimar. Di.–So. 10–18 Uhr.
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