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■ Linsen SouffléNeuer Einsatz für den Joystick

Ein ebenso amüsantes wie ungewöhnliches Buch zum großen Thema Film ist Stephen Ziplows „Film Maker's Guide to Pornography“. Das technische Hilfswerk nennt zum Beispiel den härtesten Job, der sicher auch die meiste Fachkenntnis in der Filmindustrie erfordert: Scharfmacherin. Darunter verstehen die Schmuddelfilmer eine Frau, die bei Pornos hinter der Kamera sitzt und dafür verantwortlich ist, daß die männlichen Darsteller aufs Stichwort steif sind. Außerdem bietet Ziplows Führer eine Checkliste aller (!) auf der Leinwand wiedergebbaren Sexualakte, samt Hinweisen, wie sie am besten aufzunehmen sind. Cunnilingus, berät uns der Meister, stellt den Kameramann vor besondere Probleme, weil der Kopf des Mannes ständig im Weg ist, während Orgien großen Filmwert haben, aber vor den Kosten sei gewarnt. Erst richtig explodieren werden die Kosten für die Rammelstreifen aber, wenn sie interaktiv werden, wenn der Zuschauer selbst bestimmen kann, welche Stellung er denn gerne hätte. Zukunftsmusik? Aber nein. In 40 US-Kinos mit Spezialausrüstung hatten Zuschauer jetzt die Gelegenheit, in der Action-Komödie „Mr. Payback“ ins Geschehen auf der Leinwand einzugreifen. Der von der New Yorker Gesellschaft Interfilm produzierte Scherz dauert nur 25 Minuten, aber dafür hat das Publikum die Gelegenheit, das Ding gleich dreimal hintereinander zu sehen und dabei jeweils neue Varianten zu wählen. Händchenhalten ist nicht möglich, ebensowenig wie ungehemmter Popcorngenuß: Die Finger haben statt dessen auf einem pistolenförmigen Gerät an den Sessellehnen, dem guten alten Joystick nicht unähnlich, zu tanzen. Durchschnittlich alle zwei Minuten gilt es, per Knopfdruck über die Handlung auf der Leinwand zu bestimmen – vom Plot der gesamten Geschichte bis hin zu einzelnen Aktivitäten des Mr. Payback, gegeben von Billy Warlock. Soll der Held sich den korrupten Stadtrat vorknöpfen oder den rassistischen Arbeitgeber oder doch lieber den Dekan des College, der auf kleine Mädchen scharf ist, weich kloppen? Drücke Rot für den Amtsschimmel, Gelb für den Ausbeuter oder Grün für den geilen Professor – und das so oft wie möglich. Denn jede Stimme zählt, egal, ob ein Zuschauer gleich mehrere Male votiert. Die Mehrheit der Farben entscheidet, wie es weitergeht. Die zur Wahl gestellten Varianten werden per Laser-Disk auf die Leinwand übertragen, was die Bildqualität beeinträchtigt, aber für die benötigte Schnelligkeit sorgt. Drehbuchautor und Regisseur ist Bob Gale. Finanziell unterstützt wurde das Projekt, wen wundert's, vom japanischen Multi Sony. Leider, leider deuten erste Zuschauerreaktionen jedoch darauf hin, daß Skeptiker recht behalten und die Mehrzahl der Kinofans es weiter vorzieht, sich vor der Leinwand bequem im Sessel zurückzulehnen, um passiv zu genießen. Vor allem „reifere“ Zuschauer fanden die Knopfdrückerei anstrengend und geradezu unverschämt störend. Doch das wird sich vielleicht ändern, wenn interaktive Pornos auf den Markt kommen. Nur, wohin dann zuerst mit den Händen? Mr. Ziplow wird seinem hilfreichen Buch wohl noch ein Kapitel hinzufügen müssen. Karl Wegmann

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