piwik no script img

Gefährliche Nonnen in Bayern

Die Raupen des Nonnenfalters bedrohen Nadelbäume / Hoechst und Schering eilen als Retter hinzu / Kahlfraß aber womöglich das kleinere Übel  ■ Von Thomas Pampuch

War es in den letzten beiden Jahren die Raupe des Schwammspinnerfalters, die den deutschen Wald durch Kahlfraß bedrohte, so wird es in diesem Jahr die Raupe des Nonnenfalters sein. Für etwa 3.000 Hektar Fichtenwald bei Tirschenreuth ahnt der bayerische Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet eine „tödliche Gefahr“. Im Gegensatz zum Schwammspinner, der sich am liebsten an der Eiche gütlich tut, hat es die Nonnenraupe vor allem auf die Nadeln der Fichten und Kiefern abgesehen. Die sind bereits dem Tode geweiht, wenn sie auch nur einmal bis zu 70 Prozent kahlgefressen werden.

Finstere Aussichten also für die oberpfälzischen Fichten, wäre da nicht jenes von Schering und Hoechst entwickelte Wundermittel „Dimilin“, das schon den Schwammspinnern den Garaus gemacht hat – und das weiland sogar Frankfurts grüner Umweltdezernent Tom Koenigs lobte, nachdem er damit im letzten Jahr den Frankfurter Stadtwald aus dem Würgegriff der Spinner befreit hat.

Was Wunder also, daß der schwarze Bocklet den noch gefährlicheren Nonnen nun mit der chemischen Keule droht. Und da Nonnen gemeinhin nicht jede Pressemitteilung des Ministers lesen, dürfte es ihnen im Mai schlecht ergehen. Wenn sie dann massenweise aus ihren Eiern schlüpfen und als kleine Räupchen zum Festmahl in die Kronen wandern, werden sie – so die Kriegserklärung – „von Hubschraubern aus der Luft bekämpft werden“. Dimilin stört oder verhindert ihre Häutung, die Larven sterben ab, die Fichten sind gerettet.

Ein praktisches Gift für solche Kalamitäten

So weit, so prima. Fragt man im Ministerium bei dessen Forstexperten Günter Biermayer nach, wird einem versichert, Dimilin sei „nicht giftig für uns“. Es sei offiziell zugelassen und „erprobt und praktisch bei solchen Kalamitäten.“ Die ganze Aktion werde unter wissenschaftlicher Kontrolle organisiert. Der Minister habe erklärt, daß Dimilin kein Gefahrenstoff sei und weder einer Wasserschutz- noch einer Bienenschutzauflage unterliege. Die 300.000 Mark, die der Freistaat für die Aktion aufbringt, seien gut angelegt.

Mit durch den Menschen verursachten Umweltschäden hat die Nonnenplage „nach tiefster Überzeugung“ Biermayers nichts zu tun. Sie komme in Bayern regelmäßig rund alle zehn Jahre; schon vor 100 Jahren habe es schließlich die „Nonnenkatastrophe von Ebersberg“ gegeben. Der waldpolitische Sprecher des Bund Naturschutz, Helmut Klein, sieht die Sache – naturgemäß – völlig anders.

„Das Hauptproblem ist doch, daß die Fichte dort nicht hingehört, sondern in die Alpen oder in den Bayerischen Wald, jedenfalls über 700 Meter.“ Schon in dem Klassiker „Der gemischte Wald“ von 1886 habe der große Waldprofessor Karl Gayer jene „Partisanen der exklusiven Nadelholzwirtschaft“ gegeißelt. Die seien aber einfach nicht totzukriegen. Eher schon der Wald.

Dimilin bringt nach Ansicht Kleins in jedem Fall das ökologische Gleichgewicht aus dem Lot. Es schädige ja nicht nur die Nonnenraupen, sondern nahezu jede Larve, Pilze, Insekteneier und überhaupt das ganze Wald-Ökosystem. Beim Ministerium selbst lägen darüber Gutachten vor, die aber unter Verschluß gehalten würden. „Die bestellen lieber ein teures neues Gutachten, damit endlich das rauskommt, was sie haben wollen.“ Nicht mal die Frage, wie krebserregend Dimilin ist, sei bis heute geklärt.

In der Tat liest sich bereits der Beipackzettel von Dimilin 25 WP keineswegs harmlos. Danach ist das Mittel zwar „unschädlich für zahlreiche Nutzinsekten“, aber „giftig für Fischnährtiere“. Der angesehene Waldschutzexperte der Münchener Uni, Professor Wolfgang Schwenke, hat Dimilin zwar als einen erheblichen Fortschritt gegenüber den herkömmlichen Insektiziden bezeichnet, dennoch aber vor seiner Anwendung gewarnt. Selbst der Kahlfraß durch den Schwammspinner erscheine gegenüber den lang andauernden Nebenwirkungen von Dimilin „als das kleinere ökologische Übel“. Naturschützer Klein hat sogar einen praktischen Vorschlag, wie man die 300.000 Mark besser verwenden kann: „drei Viertel für den ökologischen Waldumbau und ein Viertel zur Aufklärung von Ministern und Ministerialdirigenten“.

Ganz unbeeindruckt scheint man im Ministerium von solcherlei Überlegungen nicht zu sein. Der ökologische Waldumbau werde in Bayern „seit vielen Jahren konsequent und vorbildlich“ betrieben. Waldumbau mit Dimilin, da staunt die Fichte, und die Nonne wundert sich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen