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„Es gibt gewisse humanitäre Standards“

■ Der bayerische evangelische Landesbischof Hermann von Loewenich warnt vor Kürzungen der Sozialhilfe / Ein Mindestmaß an menschenwürdiger Existenz bewahren

taz: Bundesgesundheitsminister Seehofer plant, die Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes mit dem gekürzten Sozialhilfesatz und der eingeschränkten medizinischen Hilfe auf etwa 600.000 AusländerInnen auszudehnen. Er will damit 1,3 Milliarden Mark sparen. Wie werten Sie dies?

Loewenich: Ich kenne diesen Gesetzentwurf nicht. Natürlich sind die Ausgaben für Sozialhilfe außerordentlich hoch. Ich habe erst kürzlich ein Gespräch mit Innenminister Günther Beckstein geführt. Er sagte mir, daß die Aufwendungen für Asylbewerber die Aufwendungen für den Familienausgleich mittlerweile übersteigen. Das sind Milliardenbeträge, von denen die Rede ist. Aber umgekehrt gibt es eben bestimmte humanitäre Standards, die man nach Auffassung der Kirche und auch nach meiner persönlichen Überzeugung nicht unterschreiten darf. Um diese Frage geht es. Es ist Aufgabe der Kirche, für diese humanitären Standards einzutreten.

Vor zwei Jahren hat es einen breiten gesellschaftlichen Protest gegen diese Leistungseinschränkungen gegeben. Was wäre heute an Widerstand von Seiten der Kirche denkbar?

Die Kirche ist keine Widerstandsgruppe, sondern die Kirche versucht, durch Überzeugungsarbeit für Menschlichkeit in der Gesellschaft einzutreten. Das kann ich mir auch nicht anders vorstellen, wenn hier eine neue Gesetzesvorlage gemacht wird, die in dieser Hinsicht Bedenken auslösen würde. Wir, die Kirche und ihre Diakonie, werden diese Bedenken dann auch deutlich vortragen.

Würden Sie diese Gesetzesvorlage als Beispiel einer Diskriminierung von AusländerInnen über den Finanzweg bezeichnen?

Ich möchte nicht dazu beitragen, diese schwierige Situation durch Schlagworte noch zu verschärfen. Wir müssen in eine differenzierte Sachdiskussion eintreten. Wir müssen über Details einer solchen Gesetzesvorlage diskutieren und zwar genau dort, wo wir meinen, daß hier Menschen etwas zugemutet wird, was unter dem liegt, was wir auch solchen Menschen zumuten möchten, die einen schwachen Rechtsstatus haben.

Seehofer plant auch in anderen Bereichen eine Kürzung der Sozialhilfe.

Das ist sehr, sehr schwierig nachvollziehbar und erregt Bedenken, wenn man bei Menschen, die länger bei uns sein werden, unter die Sozialhilfesätze geht. Die Sätze sind ja so festgelegt, daß sie ein Mindestmaß an menschenwürdiger Existenz garantieren wollen. Wenn man sie kürzen will, muß man sich fragen lassen, welche Existenzform denn damit anvisiert werden soll. Interview: Bernd Siegler

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