: „Erwacht Moldauer! Ihr seid Rumänen!“
■ In der Ex-Sowjetrepublik Moldova demonstrieren Tausende gegen die wachsende Distanz zu Rumänien und den wachsenden „Moldovanismus“
Bukarest (taz) – Tausende Menschen, zumeist Studenten, demonstrieren seit mehr als einer Woche in Chișinău, der Hauptstadt der kleinen Ex-Sowjetrepublik Moldova. Auf Transparenten ist zu lesen: „Wir sind Rumänen und punktum!“ – „Gott und die wissenschaftliche Wahrheit sind mit uns!“ – „Wir Rumänen sind hier die Herren!“ Die Studenten blockieren den Straßenverkehr und boykottieren zusammen mit Lehrkräften den Universitätsbetrieb. Ihr Ziel: Sie wollen sich offiziell „Rumänen“ nennen dürfen.
Anlaß der Kundgebungen ist eine Entscheidung des Unterrichtsministeriums von Mitte März. Laut ihr sollen die Kurse in „Geschichte Rumäniens“ an der Geschichtsfakultät in Chișinău durch Kurse in „Geschichte Moldovas“ ersetzt werden. Außerdem fordern die Studenten die Wiedereinführung der im letzten Jahr abgeschafften rumänischen Nationalhymne „Erwache Rumänien!“ und eine Änderung der Verfassung, in der vom „moldauischen Volk“ und der „moldauischen Sprache“ die Rede ist: Statt „moldauisch“ soll es nach ihrem Wunsch „rumänisch“ heißen.
Der Streit „Rumänen versus Moldauer“ ist der Streit um eine nationalstaatliche Identität, nach der Moldova seit der Unabhängigkeit im August 1991 sucht. Das Land mit seinen viereinhalb Millionen Einwohnern war bis 1812 Teil des rumänischen Fürstentums Moldau, gehörte dann zum Zarenreich, schloß sich 1918 Groß- Rumänien an und wurde von Stalin 1940 annektiert, bis der Zerfall des Sowjetimperiums seine Unabhängigkeit ermöglichte.
Heute muß sich Moldova politisch nicht nur zwischen russischen Einflußansprüchen und rumänischen Vereinigungsgelüsten hindurchlavieren. Nur zwei Drittel der Einwohner sind rumänischsprachige Moldauer, ein Drittel dagegen Minderheiten, die meisten Russen und Ukrainer. Schon einmal, im Jahre 1989, hat ein Sprachengesetz, welches das Erlernen des Rumänischen zur Pflicht machte, Konflikte mit den Minderheiten ausgelöst, zum Bürgerkrieg und zur Abspaltung der von orthodoxen russischen Kommunisten beherrschten Republik Transnistrien geführt.
Die moldauische Führung um den Staatspräsidenten Mircea Snegur hat sich seither unter russischem Druck zusehends von Rumänien abgegrenzt. Gleichzeitig erlebte der einst von Stalin angeordnete „Moldovanismus“ eine neue Verbreitung. Die Idee, daß die Moldauer sprachlich und historisch eine eigene Nation seien, dient heute der Abgrenzung nach allen Seiten: außenpolitisch gegen Rußland und Rumänien, innenpolitisch gegen die Parlamentsopposition, die einen Anschluß an Rumänien fordert.
Dabei treibt der „Moldovanismus“ manch seltsame Blüten. Philologen bezeichnen den kaum vom Rumänischen abweichenden moldauischen Dialekt als eigene Sprache. In neuesten Arbeiten schreiben Historiker von der „tausendjährigen Vergangenheit der moldauischen Nation“. Sie listen über Dutzende von Seiten auf, wo überall in der Geschichte vom „moldauischen“ und nicht vom „rumänischen Volk“ die Rede war. Während viele ältere rumänischsprachige Einwohner Moldovas sich selbst als Moldauer bezeichnen und eine Vereinigung mit Rumänien ablehnen, richtet sich gegen den „Moldovanismus“ nun vor allem der Protest von Intellektuellen und einer jungen städtischen Generation. Sie sehen in der sowjetischen „Russifizierung“ eine noch heute praktizierte Politik, finden, daß die russische Minderheit sich nicht anpasse und zu viele Rechte besitze und fordern eine Annäherung an Rumänien.
Eine der Parlamentsparteien in Chișinău, die solche Stimmungen zusammen mit der Forderung nach einem sofortigen Anschluß an den Nachbarn Rumänien in aggressivster Weise vertritt und die Studentenproteste unterstützt, die „Christlich-Demokratische Volksfront“ (FPCD), wird nun von der Regierung beschuldigt, Drahtzieher der „illegalen und antistaatlichen“ Demonstrationen zu sein. Von den Studenten vehement bestritten, nahm die Regierung dies bisher auch zum Anlaß, alle Forderungen abzulehnen oder Vertreter der Demonstranten bei Verhandlungen hinzuhalten. Keno Verseck
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