: Der große Imitator
Rainer Zitelmann, einer der Wortführer der Neuen Rechten, bekämpft eine linke Hegemonie, von der er Deutschland seit 68 beherrscht sieht, und bedient sich dabei der Mittel dieser Linken. Eine Betrachtung der neurechten Ideologie von ■ Bernd Rabehl
Linksintellektuelle schwören sich gegenseitig, mit den neurechten Ideologen nicht ins Gespräch kommen zu wollen. Sie sollen ausgegrenzt und isoliert werden und im eigenen Saft schmoren. So nebenbei wird ihnen Rechtsradikalismus und Faschismus bescheinigt, und sie werden identifiziert mit dem Feind, dem Bild des Bösen. Übersehen wird dabei, daß diese neurechte Intelligenz medienmäßig nicht einflußlos ist und daß sie vor allem das Denk- und Rekrutierungspotential anspricht, das auch das Publikum der Linken abgibt – Schüler, Studenten, Lehrer, Akademiker, Journalisten, Politiker –, kurz: das Milieu der mittelständischen Privilegienträger. Außerdem haben sich die neurechten Ideologen gerade die Ungereimtheiten und Mängel der Linken zum Thema gemacht, um sie zu beerben und abzuschöpfen.
Zwar scheint der Gegensatz zwischen links und rechts durch die grundlegende Zielsetzung gegeben zu sein, durch die Orientierung auf Humanismus und soziale Emanzipation bei den Linken und auf Nation, Staat, Familie und Ordnung bei den Rechten; Verwischungen treten auf durch die Macht der Organisation, durch die Herrschaftsformen und die quasireligiöse Ausrichtung der Weltanschauung. Auf beiden Seiten konstituieren sich Eliten, die die „Basis“ jeweils als Gefolgsleute oder Mitläufer behandeln, deren Glauben an die Sache durch Propaganda und Rituale gestärkt werden muß. Schon deshalb ist es interessant, rechte Ideologien am Zustand des linken Milieus zu messen.
Aufbruchstimmung
Was sind nun die Anliegen von Zitelmann, und welche Rolle spielt er im Kanon der neurechten Ideologie? Er ist durchaus als rechtsintellektueller Meinungsproduzent anzusehen. Jahrgang 1958, Abitur, Studium der Geschichte, Schüler von Ernst Nolte, Assistent bei Professor Falter, Lektor bei Ullstein, später Feuilletonchef bei der Welt. Politisch entwickelte er über die KPD/ML die ersten Vorbehalte gegen die Ansprüche der „neuen Linken“, gegen SPD und CDU, ehe er zu neurechten Ideologien sich vorwagte. Er gehört zu den jugendhaften Überläufern, deren linkes Spektrum Berührungspunkte mit der rechten Seite aufweist. Er publiziert in den neurechten Gazetten wie Junge Freiheit und Mut. Im CDU-nahen Deutschlandmagazin schreibt er genauso wie in der Welt, und sein Anliegen ist wohl, die rechtskonservative und neurechte Intelligenz zu sammeln, um sie politik- und hegemoniefähig zu machen. Deshalb ist er ein Initiator des „Berliner Appells“ von 1994, der gegen eine mögliche Restauration einer „Antifa-Ordnung“ ankämpft, in der in einem Bündnis von SPD/Grüne und PDS die kommunistischen Kader erneut die ideologische „Hegemonie“ erringen können.
Im gleichen Jahr veröffentlichte er nun ein Buch mit dem anspruchsvollen Titel: „Wohin treibt unsere Republik“. Er will Mahner sein wie etwa L. D. Trotzki vor 1933 oder wie Karl Jaspers 1966, die sich jeweils den politischen Zustand der Weimarer oder der Bundesrepublik vorgenommen hatten, um antidemokratische, faschistische oder autoritäre Tendenzen offenzulegen. Zitelmann geht es dieses Mal darum, herauszustellen, daß eine parteipolitische Linksunion nach der deutschen Einigung von 1989 diese Republik in eine neue Linksdiktatur oder zumindest in Zerrüttung und Chaos treibt.
Was sind seine Argumente, Behauptungen und Prognosen, wie begründet er sie, wie ist seine Analyse angelegt? In einem ersten Anlauf beruft er sich auf den „antitotalitären Konsens“, der nach 1945 die Gründerparteien der Bundesrepublik und ihrer Führer, Adenauer, Schumacher, Dehler und andere, geprägt hatte. Die NS- Diktatur besaß ihre totalitäre Entsprechung in der UdSSR, die nach der Besetzung Ostdeutschlands die Grundlagen und die Form der Diktatur auf die DDR übertrug und den Anspruch hatte, Westdeutschland und Westeuropa zu okkupieren und zu „sowjetisieren“. Für Zitelmann besteht keinerlei Zweifel, daß der antitotalitäre Kampf im Kalten Krieg gleichgewichtig sich auf die Nazi- Verbrechen und auf den Terror im kommunistischen „Lager“ bezog. Die Behauptungen, daß in der Staatsexekutive, in Justiz, Wirtschaft und Politik der Bundesrepublik Funktionsträger der NS-Diktatur wieder das Sagen errangen und nach 1951 als „Beamte“ tätig waren, hält er bereits für kommunistische Propaganda.
Über die Studentenrevolte wurden, nach seiner Ansicht, Kommunisten und ihre Ideen wieder hoffähig und sie gewannen an Einfluß in SPD und FDP. Durch die Medienleute, die alle durch die Revolte hindurchgegangen waren, wurden kommunistische Ideen zu einer hegemonialen Ideologie, deren organisatorische Basis ein Netz war, das über die Parteien der sozialliberalen Koalition bis zur DKP und ihrer „Volksfront“ reichte.
Nach 1989 trat keine Wende ein. Die östliche Diktatur brach aus ökonomischen Gründen zusammen. Eine großangelegte Versöhnung sollte Volk, Eliten und Mitläufer in das westliche Wirtschaftssystem integrieren, das durch seine immanente Europäisierung alle nationalistischen Anklänge auslöschte. Durch diese Form der Kooptation der DDR durch die Bundesrepublik konnte sich die SED in PDS umwandeln und trieb die wirtschaftliche Misere der Massenarbeitslosigkeit dieser Partei neue Wähler zu. Auch ihre ideologische Hegemonie blieb unangefochten und stabilisierte sich durch die eigene politische Bedeutung und durch interne Bündnisse mit SPD und Grünen, so daß die deutsche Vereinigung nicht eine Rückkehr zum antitotalitären Konsensus und zu einer „konservativen Revolution“ bedeutete, die alte Werte von nationaler Identität, staatlicher Ordnung und Familie auf der Basis einer industriellen Gesellschaft restaurierte, sondern im Gegenteil: Eine Volksfront unter kommunistischer Regie gewann die Chance, die deutsch- deutsche Vereinigung umzuwandeln in einen Sieg des Sozialismus.
Empirische Befunde
Zitelmanns Analyse verbleibt im Bereich des Ideologischen. An manchen Stellen werden sogar Mythologien aufgebaut. Sie betreffen etwa die „Revolution“ von 1968 oder den Einfluß der Achtundsechziger in Medien, Universitäten, Justiz und Staat. Oder sie ranken um den Begriff der „Hegemonie“, dem schier außerirdische Kräfte zugetraut werden.
Zitelmann vertraut auf die empirischen Befunde des Instituts für Demoskopie Allensbach. Aber inwieweit stützen die Befragungen seine Thesen? In bezug auf die „Revolution“ von 1968, die nach seiner Überzeugung die ganze Republik erschüttert und geistig umgewälzt haben soll, sprechen die Zahlen der empirischen Erhebungen dieser Zeit eine andere Sprache. Nur vier Prozent der Studenten bekannten sich zum militanten Kern der APO, zum SDS. Zitelmanns „Revolution“ läßt sich über die Erhebung bestenfalls als Sturm im Wasserglas ausmachen. Aber 25 Jahre später hatte sich für Zitelmann der Sinn der Revolte erfüllt. Akteure und Kader hatten den langen Marsch durch die Institutionen angetreten und diese erobert. Sie saßen überall, und sie gaben kund, daß sie als Journalisten zu 51 Prozent sozialdemokratisch, liberal, grünalternativ oder sozialistisch waren. Für das Forschungsinstitut bildeten diese Orientierungen offensichtlich eine Einheit. Als konservativ, rechtsliberal oder christdemokratisch bezeichneten sich nur schlappe 15 Prozent. Für Zitelmann war das Beweis genug, daß die Medien links unterwandert waren. Der Besitz, die Medienkonzentration in den Händen weniger Einflußnehmer, die politische Ausrichtung durch die Macher und Manager, der Proporz bei den öffentlich rechtlichen Anstalten spielte plötzlich keine Rolle. Die Selbsteinschätzung von Journalisten und eine freihändige Interpretation der Daten waren Indiz genug, von einer Linksverschwörung im Medienbereich zu sprechen.
Ideologie und Gesellschaft
Die Faszination vor dem Bereich des Ideologischen, der Manipulation und der Mythologisierung sind bei Zitelmann unübersehbar. Seine Untersuchung meidet den gesellschaftlichen Kontext, und er tut so, als seien Ideologien jeweils nur bewußtes Machwerk von Drahtziehern, Verschwörern oder Manipulateuren und seien beliebig einsetzbar ohne auch nur geringe „Widerspiegelungen“ oder Resonanzen in den gesellschaftlichen Verhältnissen zu haben. Der neurechte Zitelmann übernimmt mit dieser Sichtweise Vorstellungen seiner Gegner. Ideologie wurde für die Bolschewiki Bogdanow, Bucharin und Lenin Produktivkraft. Über die Ideologie des sozialistischen Aufbaus sollte ein industriell rückständiges Land in die Moderne gewuchtet werden, gelang es, das Volk zu großen Leistungen zu mobilisieren. Für Gramsci bedeutete Hegemonie, daß über Partei, Frontorganisationen, Propaganda und Medien das Denken der Intellektuellen besetzt wurde, so daß diese nur noch im Sinne der herrschenden Ideologie agieren konnten. Er wollte Mussolini die Hegemonie rauben durch eine propagandistische, organisatorische und massenmobilisierende Offensive der Linken unter der Führung der Kommunisten. Ähnlich wollten auch Teile der „Achtundsechziger“ um die Hegemonie ringen. Für Zitelmann besaßen die „Linken“ eine derartige Hegemonie nach 1968 in der Bundesrepublik und nun sollten die Neurechten innerhalb und außerhalb der CDU das Wunderwerk vollbringen, über eine Vernetzung von Organisationen und Meinungsmache den Gegner mundtot zu machen. Geschichte mußte umgeschrieben, revidiert werden, neue Mythologien mußten sich beweisen durch den Glauben der Massen an sie, eine neue Wirklichkeit mußte erfunden werden, die als zweite Realität vorhandene Interessen verdrängte. In diesem Spiel und in diser Faszination von Ideologien und Hegemonie übersieht er, daß Ideologien nur wirken können, wenn sie mit den Interessen der einzelnen Schichten des Volkes korrespondieren. Ideologien lassen sich weder verordnen noch ohne sozialen Hintergrund manipulativ umsetzen. Jetzt wird deutlich, warum Zitelmann jegliche Gesellschaftsanalyse ausspart. Seine KPD/ML-Vergangenheit läßt grüßen. Dadurch verwechselt er die soziale, kulturelle und ökonomische Veränderung der Gesellschaft seit 1968 mit den Ideen der Studentenrevolte.
Zielsetzungen
Zitelmann geht es darum, innerhalb und außerhalb der CDU so etwas zu begründen wie eine neurechte „Intelligenzija“, die Rechtsradikale genauso erfaßt wie konservative Revolutionäre und Neokonservative. Das soll gelingen über ein Netzwerk von Organisationen, Verlagen und Propaganda. Der Verschleiß der politischen Klasse in Österreich, Italien oder Frankreich ist Vorbild. Hier gibt es neurechte Parteien und Bewegungen außerhalb der Regierungsparteien, die im Falle von deren Kollaps sofort einspringen können, um zu vermeiden, daß die Gesellschaft nach links abdriftet. Aber anders als in diesen Ländern fehlen im neuvereinten Deutschland rechtspopulistische Parteien, Bürgerbewegungen oder Bewegungen. Die Potenz der etablierten Parteien ist so groß, daß außerhalb dieser Lager neue Parteigründungen kaum eine Chance hätten. Das Experiment der Grünen läßt sich von rechts nach seiner Überzeugung nicht wiederholen, weil von rechts die politischen Vorraussetzungen fehlen, eine im Grunde zerstrittene Bewegung über Personen oder Ideen zu einen. Zitelmann setzt auf ein rechtes Medienkartell, um die Hegemonie zu gewinnen; das zweite Standbein soll die Umwandlung der krisengeschlagenen FDP in eine nationalliberale Partei sein, um als Koalitionspartner gegen links die CDU aus dem Fahrwasser von Sozialpolitik und Europaorientierung zu zerrren. Die „Freiheitlichen“ in Österreich um „Haider“ mögen Pate stehen bei all diesen Überlegungen.
Er unterschlägt bei all seinen Projekten und Projektionen, daß eine derartige Rechtswendung, den Absturz und die soziale Verunsicherung der sozialen Mitte, der unterschiedlichen Privilegienträger zur Voraussetzung hat und daß die politische Klasse einen politischen Zusammenbruch erleidet und nicht mehr machtfähig ist. Trotzdem gibt es auch das Potential der „kleinen Schritte“, um zumindest das Selbstbewußtsein der neurechten „Einzelkämpfer“ in FDP und CDU oder auch außerhalb der Parteien zu stärken. Außerdem geht es immer auch darum, Themen zu besetzen, Denkrichtungen zu stimulieren und Moden zu kreieren. Zitelmann hat dieses Ziel mit dem Aufruf zum „8. Mai 1945 – gegen das Vergessen“ erreicht. Das Thema der „Befreiung vom Faschismus“ erhält nun die Gegenthese, da der Zusammenbruch der NS-Diktatur zugleich auch die Konsolidierung der ML-Diktatur in Osteuropa bedeutete. Staatsterrorismus und Verbrechen wurden nun im Namen des „Sozialismus“ und des „Fortschritts“ begangen. Die positive Besetzung dieser Diktatur im intellektuellen Milieu der Bundesrepublik soll zersetzt und aufgelöst werden, um den neurechten Werten Platz zu schaffen.
Der Autor, Professor für Soziologie in Berlin, war einer der Wortführer der 68er Studentenbewegung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen