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Kein Urwald am Kap Hoorn

Feuerland zu Faxpapier  ■ Aus Santiago de Chile Jens Holst

Feuerland ist zwar nicht abgebrannt, aber ausverkauft. Das weitgehend unerschlossene Archipel nördlich von Kap Hoorn ist zwischen Chile und Argentinien aufgeteilt. Die chilenische Regierung verscherbelte zwischen 1985 und 1991 fast die Hälfte ihres Territoriums auf Feuerland. 25.000 Quadratkilometer gingen in Privatbesitz über. Bei besonders günstigen Angeboten lag der Hektarpreis bei lächerlichen 100 Pesos, umgerechnet 40 Pfennig. Noch 1991 vergab die Regierung riesige Waldstücke an der Südspitze Amerikas für zwei bis fünfeinhalb Dollar pro Hektar.

Das Schnäppchen machten die Patagonische Industrie- und Handelsgesellschaft für Holzfabrikation und ein kanadisches Konsortium. Die chilenische Gesellschaft verkaufte die Waldgebiete am 30. April 1993 für den siebenfachen Preis an die Investmentgruppe Cetec-SEL. Dem Staat entstanden Verluste in Millionenhöhe.

Dieser Fall bewegt seit einigen Wochen das chilenische Parlament. Zunächst war der zuständige Minister für Nationale Güter, Luis Alvarado, in das Kreuzfeuer der Kritik geraten. Der Verkauf erfolgte ein Jahr, nachdem die erste demokratisch gewählte Regierung nach der 17jährigen Militärdiktatur ihr Amt übernommen hatte. Alvarado erklärte, die entsprechenden Kaufverträge seien 1989 noch kurz vor dem Ende des Pinochetregimes abgeschlossen worden. Als er von dem Deal erfuhr, bemühte er sich um Nachbesserung. Die KanadierInnen ließen sich nach zähen Verhandlungen widerstrebend auf den dreifachen Preis ein. Auch dann dürfte es sich noch um ein lohnendes Geschäft gehandelt haben. Doch die chilenische Firma stellte sich stur und zog vor Gericht. Die Mehrheit der noch von Pinochet eingesetzten Richter des Berufungsgerichts in Santiago gab ihr recht, die Regierung hatte das Nachsehen.

Die feuerländische Waldschieberei ist nur die Spitze eines Eisbergs. Die uniformierten Machthaber in Santiago, die sich heute nicht entblöden, ihre demokratisch gewählten NachfolgerInnen der Korruption zu bezichtigen, taten alles zur Förderung der PrivatunternehmerInnen. Nach dem 11. September 1973 wurde das Land einer wirtschaftlichen Roßkur unterzogen, bei der es zwar sehr viele Verlierer, aber auch einige wenige Gewinner gab. Im Zuge des neoliberalen Umbruchs drängte der Andenstaat mit neuen Produkten auf den Weltmarkt. Holz und Holzprodukte waren eine gewinnversprechende Marktlücke im internationalen Handel. Heute machen die Ausfuhren aus der Forstwirtschaft immerhin 13,5 Prozent der chilenischen Exporte aus und lassen jährlich 1,6 Milliarden Dollar im Staatssäckel klingeln.

Seit Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre veräußerte die Regierung im ganzen Land riesige Waldgebiete zu Spottpreisen an Privatfirmen. Dem chilenischen Wald geht es im Namen des wirtschaftlichen Aufschwungs an den Kragen. Zwischen 1974 und 1984 fielen mehr als 100.000 Hektar der Motorsäge zum Opfer. Für den Handelsbilanzüberschuß von zuletzt 600 Millionen US-Dollar muß auch der südchilenische Naturwald herhalten.

Ein besonders lukratives Geschäft bietet die Herstellung von Holzspänen. So wie in allen Häfen Südchiles ragt in der südlichsten Stadt auf dem Festland, Punta Arenas, ein hoher Berg aus Holzchips in den Himmel. Der patagonische und feuerländische Wald wartet zerhäckselt auf den Transport nach Japan, wo er zu Drucker- und Faxpapier weiterverarbeitet wird. Die ostasiatische Wirtschaftsmacht kauft mittlerweile die gesamte chilenische Produktion auf. Im vergangenen Jahr waren das über drei Millionen Tonnen im Wert von 163 Millionen US-Dollar, Tendenz steigend.

Mit ihrem modernen Maschinenpark erobern die Holzfäller mittlerweile auch die letzten unberührten Waldgebiete in den unbewohnten Regionen von Chilo, Patagonien und Feuerland. Kahlschlag bringt dabei kurzfristig den höchsten Gewinn, paradoxerweise auch wegen eines Aufforstungsprogramms: Eines der ersten Gesetze des Regimes von Augusto Pinochet gewährte ab 1974 großzügige öffentliche Zuschüsse zu Wiederaufforstungsprojekten. Bis zum Ende dieses Jahrtausends sollen schnell wachsende Eukalyptuspflanzungen das Rohmaterial für den Holzchipsexport und die geplanten chilenischen Zellulosefabriken liefern. Das versetzte die großen Forstunternehmen in die Lage, immer neue Waldgebiete zu erwerben und abzuholzen. Nach Berechnungen der staatlichen Forstbehörde Conaf wird allerdings immer noch mehr als die Hälfte der Holzspäne aus Naturhölzern hergestellt. Das weitere Schicksal der Natur macht der profitorientierten Branche nur wenig Kopfzerbrechen.

„Niemand weiß bisher, ob in dem unwirtlichen, windigen Klima Patagoniens überhaupt Wald nachwachsen kann“, gibt Gabriel Sanhueza von der unabhängigen Umweltorganisation CODEFF zu bedenken. „Und die Auswirkungen des größer werdenden Ozonlochs sind auch noch nicht abzuschätzen.“ Daher fordern die Umweltschützer ein generelles Abholzverbot in besonders gefährdeten Gegenden.

Doch darauf wird sich die mächtige Holzlobby nicht einlassen. Auch die Regierung wird sich hüten, einen der wichtigsten Wachstumsfaktoren derart zu beschneiden. Im Musterland des Neoliberalismus gilt die unternehmerische Freiheit schließlich weiterhin als eins der höchsten Güter.

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