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Letzte Ausfahrt Gorleben

■ Heute nacht sollte der Castor quer durch die Republik gen Zwischenlager Gorleben rollen

Berlin (taz/AFP/rtr/dpa) – Die bundesweiten Alarmketten sind ausgelöst. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg hat gestern nachmittag alle Gegnerinnen und Gegner der Atomkraft aufgerufen, Aktionen und Demonstrationen aller Art durchzuführen. Noch stand zu diesem Zeitpunkt der Castor-Behälter mit neun abgebrannten Brennelementen vor dem Atomkraftwerk Philippsburg bereit. Doch die Abfahrt war schon beschlossene Sache. Gestern abend gegen 20 Uhr sollte der Transport per Bahn in Philippsburg abgehen, heute wird er gegen 10 Uhr in Dannenberg erwartet. Dort soll er auf Schwerlastwagen umgeladen werden. Die ersten hochradioaktiven Abfälle aus einem deutschen Atomkraftwerk werden dann nach Plänen der Polizei heute mittag im Zwischenlager Gorleben ankommen.

5.300 Polizisten aus mehreren Bundesländern und noch einmal etwa 1.000 Beamte des Bundesgrenzschutzes sind seit Samstag im Dauereinsatz. Sie sollen den Castor-Transport durchsetzen, der auch nach Meinung der Betreiber des Atomkraftwerks zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich ist. SPD-Politiker sprachen erneut von einer „Provokation“ seitens der Bundesregierung.

Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder hielt dennoch am vereinbarten Termin zur neuen Runde der Energiekonsensgespräche fest. Die Sozialdemokraten seines eigenen Wahlkreises hatten ihn gestern in letzter Minute aufgefordert, das Gespräch abzusagen.

In Philippsburg sicherten Polizeiketten und Stacheldraht die Zufahrt zum Atomkraftwerk vor Demonstranten. Anschläge auf Bahnstrecken hatten schon in den gestrigen frühen Morgenstunden die mutmaßliche Route des Atomtransports markiert. Unbekannte hatten mit Stahlseilen und Wurfankern Fahrleitungen heruntergerissen. Fast alle Nord-Süd-Verbindungen der Bahn waren in Südhessen unterbrochen. Auch zwischen Bremen und Hamburg waren Fahrleitungen heruntergerissen worden.

Der Castor wird vermutlich über Frankfurt, Fulda, Göttingen, Hannover und Uelzen nach Dannenberg fahren. Mitglieder von Greenpeace wollen versuchen, den Transport zu begleiten. Der Sonderzug wird von einer Diesellok gezogen, um gegen Stromausfälle auf der Strecke geschützt zu sein.

Joschka Fischer, Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, warnte die Atomkraftgegner davor, Gewalt einzusetzen. Allerdings findet auch er, die größere Provokation liege auf seiten der Bundesregierung. Sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete forderten die Bonner Umweltministerin Angela Merkel auf, den „Kurs der Konfrontation mit den Bürgern“ zu beenden und auf den Transport zu verzichten.

Im Wendland gilt schon seit dem vergangenen Samstag ein Versammlungs- und Demonstrationsverbot. Der sozialdemokratische Landrat des Kreises Lüchow- Dannenberg, Christian Zühlke, verkündete gestern, er werde sich dieser Anordnung des Innenministeriums in Hannover widersetzen und selbst an den Demonstrationen gegen den Castor teilnehmen. „Ich werde auch keinem widersprechen“, sagte der widerspenstige Landrat, „der sagt, er gehe dort demonstrieren.“

Ungefähr 1.000 Menschen, darunter Bauern mit Treckern, Schüler und ganze Familien, gingen auch gestern wieder im Wendland auf die Straße. Neben dem Verladebahnhof in Dannenberg steht inzwischen ein Zeltlager, das die Polizei mehrfach vergeblich zu räumen versuchte. Mehrere Bahnübergänge wurden gestern mit Treckern blockiert. nh Seiten 6 und 10

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