: An abgehakte Sätze nicht gewöhnt
■ Annemarie Schimmel hüllt sich nach ihren Rushdie-Äußerungen in Schweigen
Für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels beruht die Aufregung um Annemarie Schimmel auf einem Mißverständnis. Die Islamwissenschaftlerin und diesjährige Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels sei es „im heutigen Medienzeitalter nicht gewohnt, die abgehakten Sätzen zu sprechen“, erklärte Cornelia Schmidt-Braul von der den Preis vergebenden Institution gestern gegenüber taz. Die mit 25.000 Mark dotierte Auszeichnung werde wie vorgesehen am 15. Oktober verliehen. Nachdem die Preisträgerin letzten Donnerstag bekannt gegeben worden war, hatte sie einen folgenschweren Auftritt in den ARD-„Tagesthemen“. Auf den vom iranischen Revolutionsführer Ajatollah Chomeini gegen den Autor der „Satanischen Verse“, Salman Rushdie, verhängten Mordaufruf angesprochen, hatte die 73jährige erklärt: „Eine Morddrohung ist natürlich immer etwas Gräßliches.“ Aber sie habe auch „gesehen, wie erwachsene Männer geweint haben, als sie erfahren haben, was in den ,Satanischen Versen‘ steht, und das ist nach meiner Meinung auch eine sehr üble Art, die Gefühle einer sehr großen Menge von Gläubigen zu verletzen. Das ist etwas, was ich auch nicht schätzen kann.“
Im Anschluß hatte das „Deutsche Salman Rushdie Komitee“ in einem offenen Brief an den Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Äußerungen kritisiert. Mitunterzeichner Günter Wallraff hatte gar gefordert, die Entscheidung über die Preisvergabe zu „revidieren“. Rushdie selbst hatte am Montag gegen die Preisträgerin polemisiert: „Der Name Annemarie Schimmel klingt in meinen Ohren nicht sehr islamisch. (...) Es würde mich auch sehr interessieren, ob sie mein Buch wirklich gelesen hat.“
Die Antwort will Schimmel erst einmal schuldig bleiben. Vorerst will sie keine Interviews mehr geben. Laut Cornelia Schmidt-Braul ist Schimmel „gekränkt“, für die Wissenschaftlerin seien aktuelle politische Fragen allenfalls „ein Randthema“. Dabei hatte Schimmel auch nach dem Interview an ihren Äußerungen festgehalten. „Salman Rushdie hat den Propheten beleidigt. Das kann nicht einfach so hingenommen werden“, sagte sie am Montag gegenüber dpa.
Laut Wallraff hat Annemarie Schimmel, als Chomeini die Fatwa verhängte, diese „voll unterstützt“. Der Schriftsteller beruft sich auf den Aachener Buchhändler Peter Klein. In einer eidesstattlichen Erklärung, die auch der taz vorliegt, beteuert dieser, Schimmel habe ihm am 22. Juni 1989 nach einer Lesung „unmißverständlich zu verstehen gegeben“: „Ich unterstütze die Fatwa (den Mordaufruf!) gegen Salman Rushdie.“ Desweiteren habe Schimmel den Namen Rushdies zu der englischsprachigen Aufforderung „Rush die!“ – „schnell, stirb!“ umgewandelt. Schimmel bestreitet das.
Mittlerweile gerät die Orientalistin auch in die Kritik von BerufskollegInnen. „Entschieden zu weit“ gehen dem in Hamburg dozierenden Schimmel-Schüler Gernot Rotter die Äußerungen seiner ehemaligen Persisch-Lehrerin. Und die Islamwissenschaftlerinnen Verana Klemm und Karin Hörner bezeichnen sie im taz- Kommentar als „blauäugig“. Und die Turkologin Petra Kappert meint, wer sich von den „Satanischen Versen“ verletzen lasse, habe keinen Sinn für Ironie und den spielerischen Umgang mit Fiktion. Thomas Dreger
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