: „Wir möchten euch etwas zeigen“
Die Frauen umringen den Tisch, Schwester Mbi packt anatomische Modelle aus. Es wird still im Dorf. Das Nachdenken über die Beschneidung hat begonnen ■ Von Kerstin Kilanowski
Über Gambias Hauptstadt hat sich eine Gluthitze gelegt. Schon seit einer Stunde warten wir in der sengenden Mittagssonne am Straßenrand auf Schwester Vivat. Auf dem frischgebügelten, eleganten Boubou ihrer Kollegin Binta Sidibe zeichnen sich bereits Schweißflecken ab. Dabei sind gepflegte Kleidung und Pünktlichkeit für den heutigen Tag das A und O. „Versucht mal, um diese Uhrzeit und mit dieser riesigen Kiste hier in Banjul ein Kollektivtaxi zu bekommen“, begrüßt uns Schwester Vivat und zwängt sich ins Auto. Es ist jetzt höchste Zeit, denn Hebamme Mbi müssen wir auch noch abholen. Wir werden zu spät kommen, wahrscheinlich warten die Frauen aus dem Dorf Pirang bereits mit dem Essen.
Zwei Tage zuvor hatte Binta Sidibe, die Leiterin des Workshops „Gesundheitsfragen für Frauen“, unser Kommen angemeldet. Und es war selbstverständlich, daß sie den Dorfsprecherinnen ein Geldgeschenk mitbrachte, damit sie für alle in Pirang ein großes Essen kochen können. „Ich kenne meine Frauen“, sagt Binta Sidibe. Die vierzigjährige Soziologin hat in den USA studiert und gehört somit zur hauchdünnen Schicht hochgebildeter Frauen in Gambia. Das Verständnis für die traditionellen Umgangsformen auf dem Land hat sie dennoch nicht verloren. Ihre Mission ist heikel. Binta Sidibe, Krankenschwester Vivat und Hebamme Mbi werden in Pirang sehr diplomatisch und dennoch direkt vorgehen müssen.
Auf dem Dorfplatz, im Schatten der Baobab-Bäume, tanzen bereits an die zwanzig Frauen in ihren besten Gewändern. Der Rest der Bewohnerinnen steht in einem riesigen Pulk am Rande, dazwischen die Kinder vom Säuglingsalter bis zum Teenager. Im Hintergrund beobachten einige Männer, was die Frauen da wohl treiben.
Die Dorfsprecherin hält eine Begrüßungsrede und dankt, daß ihr Dorf mit einem Aufklärungsprogramm zu Gesundheitsfragen beehrt wird. Reis mit scharfer Erdnußsauce wird ausgeteilt, die Kanileng-Frauen tanzen zu Wassertrommeln. Als Kinderlose haben sie völlige Narrenfreiheit. Amüsiert klatschen die DorfbewohnerInnen.
Die Stimmung ist bestens. „Wir sollten jetzt mit unserem Programm anfangen“, schlägt Binta Sidibe vor und beginnt zu sprechen. „Wir bringen euch Bildung. Jeden Tag kann man neue Dinge entdecken, dafür ist niemand zu jung oder zu alt. Mbi, eure Hebamme, möchte euch jetzt etwas zeigen.“ An die hundert Menschen stellen sich in einen Halbkreis um den Tisch, auf dem Mbi jetzt die große Kiste auspackt.
Hervor kommt das anatomische Modell eines schwarzen Frauenkörpers. Auf einen Schlag wird alles still – beklemmend still. Die Gesichter der Dorfbewohnerinnen sind plötzlich ernst und mißtrauisch.
Mbi kennt diesen Moment. „Entschuldigt, ich möchte hier niemanden beleidigen. Dies ist das Modell eines weiblichen Körpers von der Taille an abwärts“, erklärt sie. „So sehen wir von Geburt an aus.“ Sie legt ein Taschenmesser und eine knallrote Plastikblutlache vor den Torso und tut etwas Ungeheuerliches: Sie greift dem Frauenkörper in die Scham und wechselt jenes Teil, über das die Frauen mit niemandem sprechen können, mit einem anderen aus. Jetzt steckt eine Vulva mit einer breiten rosa Narbe und Einstichen in dem anatomischen Modell. „Und so sehen wir aus, wenn wir beschnitten worden sind. Diese Art von Klitorisbeschneidung praktizieren wir in Gambia.“
Unruhe bricht aus. Einige Frauen lachen nervös, andere kreischen und schreien, in Wellen transportieren die Stimmen das Entsetzen. Die Kinder schwanken zwischen Erschrecken und Faszination, ein Mann hält sich beschämt die Augen zu. Ein paar der alten Frauen und Männer laufen weg.
„Sie zeigen, wie wir unten herum aussehen!“ ruft eine der Dorfsprecherinnen. „Und das, wenn auch noch die Männer dabei sind.“
Die Hebamme Mbi macht unbeirrt weiter und wechselt ein weiteres Mal die Vulva aus. „Und so werden die Frauen im Sudan und Äthiopien beschnitten. Wie können wir mit so einer Scheide Kinder gebären?“ Der Torso ist jetzt mit einem Geschlecht ausgestattet, das nur aus einer winzigen Öffnung besteht. „Wenn wir das Modell zeigen, ist immer ein sehr kritischer Augenblick gekommen“, flüstert Binta Sidibe mir zu. In anderen Dörfern kam es vor, daß die Alten, vor allem die Beschneiderinnen, die Aufklärerinnen mit einem Fluch belegten – eine Angelegenheit, die in Westafrika niemand auf die leichte Schulter nimmt.
Die Stimmung auf dem Dorfplatz in Pirang ist zum Zerreißen gespannt und droht zu eskalieren. „Ich bin eure Hebamme, ihr kennt mich“, ruft Mbi mit fester Stimme. „Dies ist ein Gesundheitsprogramm, wir sollten nicht schüchtern sein.“ Sie erzählt von Fällen, in denen Gebärende in ihr Gesundheitszentrum eingeliefert wurden: Nur durch einen Kaiserschnitt konnten die Frauen gerettet werden. „Manche Mädchen verbluten schon während des Eingriffs, andere sterben an Blutvergiftung“, erklärt Binta Sidibe. Die typischen Spätfolgen hat sie am eigenen Leib erfahren. „Für meine Geburten mußte ich wegen der Vernarbungen aufgeschnitten werden. Fünfmal insgesamt.“
Eine Fremde, erst recht eine Europäerin, hätte bei den Dorffrauen keine Chance, zu diesem Thema Gehör zu finden. Nur die Zugehörigkeit zur selben Volksgruppe, dieselbe Sprache, dieselben Traditionen und das persönliche Vertrauen in die Gesundheitsberaterinnen erlaubt Binta, Vivat und Mbi, die gesundheitsschädlichen Folgen der Beschneidung weiter auszuführen. Sie erzählen von Harnleiterentzündungen, Verwachsungen der Scheide, von Blutvergiftungen und von Kindern, die bei der Geburt sterben. Und über die Ursache dieser millionenfachen Katastrophe, deren Name eigentlich nicht einmal ausgesprochen werden darf. Klitorisbeschneidung, das ist etwas Geheimnisvolles, von dem Kinder und Männer ausgeschlossen sind. Ein Ritual, das aus Mädchen Frauen macht, das unwissende Kinder von Erwachsenen trennt. Als „Operationsinstrumente“ dienen Flaschenscherben, Messer und Scheren. Nachbarinnen, Großmütter, Tanten wachen bis heute darüber, daß das angeblich „schmutzige Organ“ entfernt wird.
Von den alten Frauen ihres Dorfes wird den Frauen eingeschärft, daß erst die Beschneidung aus den Mädchen wirkliche Frauen macht. Unbeschnittene werden von der Dorfgemeinschaft verhöhnt und als „Schlampen, leichte Mädchen, unreife Geschöpfe“ beschimpft, erzählt Schwester Vivat. Eingeweihte, alte Frauen führen die Beschneidung an weiblichen Säuglingen und Mädchen vor der Pubertät durch – mit Glasscherben, Messern, Scheren.
In ländlichen Gegenden, in denen die Beschneiderinnen es mit der Tradition noch sehr genau nehmen, beginnt die Initiation der Mädchen mit einem mehrwöchigen Rückzug in den Busch. Dort lernen sie von der Beschneiderin, welche zukünftigen Aufgaben als Ehefrauen, Mütter, pflichtbewußte Töchter auf sie warten. Über die Beschneidung ihrer Geschlechtsorgane erfahren sie in der Regel bis zum entscheidenden Moment nichts. „Sie versprachen mir viele Geschenke, daß ich jetzt zu den Frauen gehören würde, daß es ein herrliches Fest geben würde“, erinnert sich Binta Sidibe. „Aber über den ungeheuren Schmerz hat mir niemand etwas gesagt.“ Beschneiderinnen und Beschnittene glauben, daß die Frauen leichter gebären könnten, daß die Klitorisbeschneidung sich positiv auf die Fruchtbarkeit auswirke und letztlich dem Mann den Geschlechtsverkehr vereinfache.
Auch in Pirang ist das nicht anders. Daß die Klitorisbeschneidung und die Entfernung der Schamlippen in unmittelbarem Zusammenhang mit Erkrankungen und Todesfällen steht, ist den Frauen neu.
Maimouna, eine der angesehensten Frauen von Pirang, ist aufgestanden und erinnert daran, daß die Ahnen ihnen beigebracht hätten, „es“ nicht einmal zu erwähnen – sonst müßten sie sterben. Aber das Nachdenken darüber hat eingesetzt – und die Diskussion ist nicht mehr zu bremsen. Die Bewohnerinnen von Pirang sprechen über die Angst, ihre Kinder könnten durch westliche europäische Einflüsse verbogen werden und ihre Traditionen vergessen. Ein Grund, warum sie ihre Töchter heute schon am liebsten im Alter von dreizehn Jahren verheiraten wollen. Sie sprechen darüber, wie schwer die Feldarbeit sei, wie wenig sie für einen Sack Reis auf dem Markt bekämen. Die Sprecherin der örtlichen Frauengruppe, Safi beginnt ihre Abschiedsrede: „Binta, die Europäerinnen verstehen unsere Sprache nicht, aber du verstehst die ihre und die unsere. Eins sollen sie wissen: Wir Frauen leiden sehr viel. Wir wußten nicht, daß die Klitorisbeschneidung Konsequenzen für unsere Gesundheit hat. Wir glaubten immer, daß wir wegen unserer harten Arbeit so oft krank sind. Wir sind froh über dieses neue Wissen.“ Am Ende des Tages laden die Dorfbewohnerinnen die Workshop-Frauen ein, wiederzukommen. Sie wollen mehr erfahren über die Beschneidung und ihren Körper.
Projektleiterin Binta Sidibe, Hebamme Mbi und Krankenschwester Vivat sind froh: Ihr Besuch war ein Erfolg. Der Anfang ist gemacht. Ein einziger Besuch kann natürlich die alten Traditionen nicht von heute auf morgen verändern, resümiert Binta Sidibe. „Wir haben einfach kein Geld, um ein Dorf mehrmals zu besuchen, doch mittlerweile arbeiten fast 2.000 Frauen bei dieser Kampagne mit. Bisher werden die Frauen jedoch weder von staatlicher Seite noch von internationalen Organisationen unterstützt.“
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