■ Wegen des Fax droht Solinger Prozeß zu scheitern: Verhängnisvolle Leichtgläubigkeit
Irgendwo in Berlin werden am Mittwoch ein paar Rechtsextremisten wegen der Nachrichten aus dem Solinger Mordprozeß Freudengesänge angestimmt und ihren Propagandacoup ausgiebig gefeiert haben. Und überall in Deutschland werden sich die zahlreichen unorganisierten, gewöhnlichen Ausländerhasser einmal mehr darin bestätigt gefühlt haben, was rechte Hetzschriften noch nach jedem rassistischen Anschlag verkünden: Türken stecken wegen privater Fehden sich gegenseitig die Häuser an und schieben die Verantwortung danach mit Wissen der deutschen Behörden den Rechten im Lande in die Schuhe. Im Kern zieht sich diese rechtsradikale Propagandalüge durch das gesamte Schreiben, das der Vorsitzende Richter des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, Wolfgang Steffen, ungeprüft im Düsseldofer Gerichtssaal verlas. Und Steffen lieferte seinen Kommentar über die vermeintliche „Urkunde“, in der angeblich zwei Türken einen Landsmann der Solinger Brandstiftung beschuldigen, auch gleich noch mit: „Man kann sagen, daß hier eine Bombe einschlägt.“
Es war eine üble Stinkbombe. Daß Steffen und seine 4 RichterkollegInnen – der ganze Senat hatte sich vor der Verlesung für 10 Minuten zurückgezogen – diesen Gestank nicht gerochen haben, ist aus mindestens drei Gründen unfaßbar. Erstens hätte schon ein simpler Vergleich der Daten – Urkunde „zu Berlin am 29. Mai verhandelt“/Beglaubigung am 8. 3. 94 – Anlaß zur äußersten Vorsicht geboten. Zweitens hätte das rechtsradikale Strickmuster des Inhaltes zu denken geben müssen, auf das der Anwalt der Familie Genc, Reinhard Schön, sofort hingewiesen hat. Der dritte Grund liegt im prozessualen: Wenn Worte in diesem schwierigen Verfahren noch von Bedeutung sind, dann ist mit dem Gerede von der „Bombe“ kurz vor der Beendigung der Beweisaufnahme das Urteil doch fast gesprochen. Wie kann der Senat dann aber die vier jungen Männer, die laut Anklage die Tat begangen haben sollen, weiter in U-Haft halten? Wenn des Richters Zweifel an deren Tatbeteiligung so fundamental sind, daß er jedes schmierige Schriftstück als ernstzunehmenden Hinweis auf einen ganz anderen Täterkreis wertet, dann reicht die weitere U-Haft kurz vor Beginn der Plädoyers doch schon nahe an eine Freiheitsberaubung heran.
Es scheint, als habe den bis Mittwoch weitgehend souverän operierenden Senat kurz vor Schluß doch noch die Totalverwirrung erfaßt. Das ist vor allem für die Hinterbliebenen des Solinger Mordanschlages bitter, denen nach den schwerwiegenden Ermittlungsfehlern von Polizei und Bundesanwaltschaft und nach einer in weiten Teilen unsäglich einseitigen Presseberichterstattung zugunsten der Angeklagten nun ein weiteres Mal Leid zugefügt wurde. Walter Jakobs
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