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Die große Kommunikatorin

■ Fatima Mernissi, marokkanische Soziologieprofessorin und berühmteste Feministin des Maghreb, kämpft mit der Waffe des Charmes und des Hedonismus

Bewunderung ist unmodern – auch und gerade in jenem Teil der deutschen Frauenbewegung, der penetrant die Gleichheit aller Schwestern mit Gleichartigkeit verwechselt und Autoritätshörigkeit mit der Anerkennung einer Autorität. Das ist schade, denn es wäre um die Welt besser bestellt, wenn Frauen sich aneinander orientieren könnten, statt sich an Männern abzuarbeiten. Und deswegen will ich hier bekennen: Ich verehre Fatima Mernissi! Nicht nur ihrer klugen Bücher wegen. Sondern auch, weil sie es sich nie in ihrem Elfenbeinturm bequem gemacht hat, sondern unzähligen Frauen hilft – argumentativ wie praktisch. Und vor allem, weil sie Kampfeslust mit Lebenslust verbindet und Charme, Witz und Phantasie zu politischen Waffen formt. In einem Filmchen, das im Rahmen des Netzwerkes arabischer Wissenschaftlerinnen und Literatinnen „Maghreb Women Horizon 2000“ produziert wurde, sitzt die marokkanische Soziologin als Scheherazade verkleidet auf ihrem Sofa und spielt mit falschen Perlen. „Mein Mann weiß, was ich mir wünsche“, flüstert sie. „Einen Compuuuter!“ Dieser und weitere Videoclips, die die Netzwerk- Frauen auf Veranstaltungen einsetzen, arbeiten nach Mernissis Prinzip „Mit Humor kann man Männer verändern“. Auch sie selbst hat sichtlich Spaß an dieser wimpernklimpernden Rolle. Sie wäre gern Schauspielerin geworden, bekennt sie, oder Femme fatale. „Aber ich redete zuviel. Die Femme fatale muß schweigen und den Männern ihre Projektionen ermöglichen.“ Statt dessen wurde sie die berühmteste Wissenschaftlerin und Feministin des Maghreb. Beim genauen Betrachten ist der Unterschied jedoch gar nicht so groß: Fatima Mernissi ist die große Kommunikatorin. Wie eine Spinne sitzt sie im Zentrum ihres Frauennetzwerkes und hält die Fäden zusammen. Weil der von den islamischen Fundamentalisten verordnete Schleier den Mund der Frauen verschließen und die Männer zu ihren Vor-Mündern machen soll, ist eines ihrer Hauptanliegen, daß Frauen frei reden können: „Sprecht! Schreibt! Drückt euch aus!“ Sie veranstaltet literarische und politische Workshops, sie sorgt für die Computervernetzung von Frauen, die sich vor islamischen Fanatikern verstecken müssen, sie redet sich auf internationalen Konferenzen oder in offiziellen Gremien wie der Unesco als Beraterin den Mund fusselig. Sie redet, weil die Mehrheit der arabischen Frauen immer noch schweigen muß. Sie redet, weil die Welt in Zeiten drohender neuer Kreuzzüge dringend Mittlerinnen braucht. In den westlichen Ländern verteidigt sie die islamische Kultur, in den arabischen Staaten „solche genialen Erfindungen wie die Wahlurne“. Und sie redet, weil man ihr den Mund nicht verbieten kann. Obwohl sie gleichzeitig zugibt, „keine Heldin“ zu sein – Märtyrer gibt es genug in der blutigen Welt des Fundamentalislamismus. Wenn man in ihrem Appartement in Rabat auf den blumenüberwucherten Balkon tritt, kann man die Polizisten patrouillieren sehen, die Marokkos berühmteste Bürgerin im Regierungsauftrag beschützen.

Eine Liebeserklärung des marokkanischen Königs Hassan II. ist das allerdings nicht. Seine autoritäre Regierung sieht dem Treiben der Mernissi mit höchst gemischten Gefühlen zu. Die Herren Politiker, die schon mal versucht haben, sie mit einem Ministeramt zu ködern, haben gleichzeitig einige ihrer Bücher verbieten lassen. Die Botschaften, die sie enthalten, sind in der Tat gefährlich für traditionelle Muslime. Zum Beispiel die These in „Geschlecht, Ideologie, Islam“, daß es die männliche Angst vor der übermächtigen weiblichen Sinnlichkeit war, die den Frauen den Schleier aufzwang. Oder die Ausführungen in „Der politische Harem“, daß Mohamed selbst sehr viel progressivere Ansichten in der Frauenfrage vertrat als viele seiner heutigen Anhänger.

Ihr letztes auf deutsch erschienenes Buch „Der Harem in uns“, ist eine neue Variation ihres Grundthemas: der Harem als Synonym für Mauern und Grenzen. „Die Mehrheit der Menschen glaubt, daß jeder in seinem Raum bleiben muß“, formuliert sie 1993 in einem Streitgespräch, also zu einer Zeit, als die rassistischen Übergriffe in Deutschland eskalieren. „Das ist der Harem. Dies kenne ich von meiner Kindheit her. Für mich haben die Deutschen einen rassischen Harem im Kopf. Bei uns ist das der sexuelle Harem.“ Auch sie, das erzählt sie in diesem autobiographischen Büchlein, wurde 1940 in Fes in einen Harem hineingeboren. Ihre Mutter war Analphabetin, aber sie selbst hatte „das unverschämte Glück“, von der Bildungseuphorie des nationalistischen Bewegung profitieren und die Schule besuchen zu können, der später das Studium in Rabat, Paris und Massachusetts folgte. Im Zuge dieser Unabhängigkeitsbewegung in den 40er und 50er Jahren habe sich in der ganzen Region „eine höchst lebendige zivile Gesellschaft mit einem starken feministischen Flügel entwickelt“, berichtet sie auf einer Podiumsdiskussion in Berlin, wo sie derzeit als Fellow des Wissenschaftskollegs lebt. „Die westliche Unterstützung des Palastfundamentalismus in den Ölstaaten hat diese zivile Gesellschaft zerstört. Algerien zeigt deutlich, daß wir hinter alle damaligen Errungenschaften zurückgeworfen werden sollen. Der algerische Straßenfundamentalismus ist nur der umgedrehte Spiegel des Saudikönigs, es ist die Gewalt des Palastfundamentalismus, die dort demokratisiert worden ist.“ Ute Scheub

Hinweis: Die Heinrich-Böll-Stiftung, Tel. 0221-2071121, veranstaltet von 7. bis 9. 7. ein Forum zum Thema Frauenrechte im Islam.

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