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Der Traum, Sarajevo zu befreien

Die Offensive der bosnischen Regierungstruppen fordert viele Opfer / Die Soldaten hofften auf einen schnellen Erfolg, die Generäle rechnen dagegen mit einer langwierigen Aktion  ■ Aus Zenica Erich Rathfelder

„Sarajevo zu befreien, war der Traum seit Beginn der serbischen Belagerung.“ Mehmet F., ein Soldat der bosnischen Armee, war seither an allen Versuchen, diesen Traum zu verwirklichen, beteiligt. Schon im Februar 1993 versuchten er und seine Kameraden, die serbischen Stellungen unterhalb des Bergs Igman im Handstreich zu nehmen. Doch die Aktion konnte damals nicht gutgehen. Gegen die hochgerüstete und gut ausgebildete jugoslawische Volksarmee war der zusammengewürfelte Haufen aus schlecht bewaffneten, freiwilligen Kämpfern machtlos. „Wir mußten ohnmächtig ansehen, wie Sarajevo weiterhin beschossen wurde.“

Das sollte jetzt anders werden. Als am Donnerstag letzter Woche die Offensive der bosnischen Armee begann, waren Mehmet F. und seine Kameraden guten Mutes. „Wir dachten, wir würden in drei Tagen den Durchbruch schaffen.“ Immerhin sei die bosnische Armee in den letzten beiden Jahren zu einer richtigen Armee geworden, hätte trotz des Waffenembargos genug Handfeuerwaffen und Munition und verfüge jetzt sogar über eine bescheidene Artillerie. An einer Frontlinie von über 100 Kilometer, von der nördöstlich Sarajevos gelegenen Stadt Olovo bis zu dem südwestlich Sarajevos gelegenen Gebiet um das serbisch besetzte Trnovo waren 15.000 bis 18.000 Mann der Regierungstruppen zum Angriff angetreten – zusammen mit 2.000 Mann der verbündeten kroatisch-bosnischen Truppen HVO.

Doch der Traum des schnellen Durchbruchs zerrann schon am zweiten Tag der Offensive. „Es war die Hölle“, sagt Mehmet F. Als die bosnische Infanterie vorrückte, trat die Artillerie des 12.000 bis 14.000 Mann starken serbischen „Sarajevo-Corps“ in Aktion. Mitten in die bosnische Infanterie hinein. „Es gab und gibt viele Opfer.“ Mehmed spricht mit Bedauern und Anerkennung zugleich von der Präzision der serbischen Artilleristen. „Sie legten nur 10 Meter vor die eigenen Infanteriestellungen ein Sperrfeuer aus Granaten. Die schossen aus 2 Kilometer Entfernung auf 5 Meter genau.“ Wegen dieser außergewöhnlichen Präzision träfen sie auch die Zivilisten, die vor den Wasserstellen in Sarajevo Schlange stehen. „Da ist kein Treffer Zufall.“ Die bosnische Artillerie stecke noch in den Kinderschuhen. „Wir haben wenige Waffen und schlechtere Artilleristen.“ Immerhin sei es gelungen, an einigen Stellen vorzurücken. Dort, wo die bosnische Infanterie den Wald zur Deckung nehmen konnte, seien die Vorstöße erfolgreich gewesen. „Wenn wir die serbischen Stellungen erreichen können, haben wir Vorteile. In der Regel sind wir im Kampf Mann gegen Mann stärker.“ So gelang es an mehreren Stellen der Front, einige Kilometer vorzurücken, bei Visoko versuchten die Truppen die serbischen Stellungen in Ilijas zu umgehen. Bei Kiseljak und Hadzici konnte günstiges Gelände genutzt werden, wie auch bei Trnovo. „Doch ein entscheidender Durchbruch ist nicht gelungen.“ Mehmet schweigt. Die geheime Zusammenkunft wird abgebrochen. „Ich darf eigentlich überhaupt nichts sagen.“ Die Städte in der Kriegszone sind systematisch von der Außenwelt abgesperrt. Die Telefonleitungen in die an der Frontlinie liegenden Stadt Visoko sind gekappt, niemandem ist es erlaubt, die Stadt zu verlassen. Selbst die 600 kanadischen UNO-Soldaten dürfen aus ihren 2 Kilometer von Visoko entfernten Kasernen nicht heraus. Schon vor zwei Monaten waren in dieser Region Vorbereitungen für die bisher größte Operation der bosnischen Armee getroffen worden. Sie sollten strikt geheimgehalten werden.

In dem 40 Kilometer von Sarajevo entfernten Städtchen Kakanj im Tal der Bosna sind die Hubschrauber der bosnischen Armee pausenlos im Einsatz. Werden Verwundete hierhergebracht und auf die umliegenden Krankenhäuser verteilt? Der Zutritt zu den Krankenhäusern ist verboten. Vor dem Hauptquartier der bosnischen Armee bleiben die Wachen stumm. Und als der Oberkommandierende Razim Delić erscheint, wehrt er alle Fragen ab. Doch vom Gesichtsausdruck des massigen Mannes ist Zufriedenheit abzulesen. „Sicherlich glaubten die Soldaten an einen schnellen Erfolg. Die Generäle jedoch rechneten von Anbeginn mit einer langwierigen Aktion.“ Auch der bosnische Journalist, der dies sagt, möchte seinen Namen nicht genannt wissen. Da er den höchsten Militärs nahesteht, haben seine Worte Gewicht. Jetzt käme es darauf an, die Moral der Truppen hochzuhalten. Die internationale Gemeinschaft habe der bosnischen Seite zwei Wochen Zeit für die Aktion gegeben. Danach würde der politische Druck auf die bosnische Regierung gesteigert werden, die Militäraktion abzubrechen. „Dann würde die nächste Verhandlungsrunde eingeleitet werden. Deshalb müssen unsere Truppen so schnell wie möglich wenigstens wichtige Positionsverbesserungen erreichen.“

Schritt für Schritt müsse die bosnische Armee vorgehen, erklärt ein US-amerikanischer Militär. Bisher sei es immerhin gelungen, die serbischen Streitkräfte in Gesamtbosnien durch die Angriffe in anderen Regionen zu binden und beschäftigt zu halten, so daß die Truppenteile aus anderen Regionen nicht nach Sarajevo rücken könnten. Möglicherweise sei der Durchbruch nach Sarajevo für die Bosnier jetzt noch nicht zu erreichen, auch der Anschluß der Enklave Goražde käme noch nicht in Frage. Die Schwäche der bosnischen Armee, so der Gesprächspartner, bestünde darin, daß sie als junge Truppe noch nicht zu koordinierten Aktionen von Artillerie und Infanterie in der Lage sei.

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