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Showdown im Morgengrauen

Das Geiseldrama von Zehlendorf wurde für beide Seiten erfolgreich beendet: Die Geiseln blieben unversehrt, die Täter konnten mit fünf Millionen Mark entkommen  ■ Aus Berlin Peter Lerch

Die Geiseln sind frei, die Polizei verblüfft und die Täter mit ihrer Beute von fünf Millionen Mark über alle Berge. Achtzehn Stunden dauerte die spektakulärste Geiselnahme der Berliner Nachkriegsgeschichte. Am Mittwoch um 3.30 Uhr stürmte ein Sondereinsatzkommando die im Prominentenviertel Schlachtensee gelegene Bank und befreite die 16 Frauen und Männer, die sich zuvor in den Händen der Geiselgangster befunden hatten. Die Täter selbst hatten sich bereits Stunden zuvor durch einen Deckendurchbruch in die Kanalisation gebuddelt. Am Dienstag vormittag um 10.45 Uhr waren die schwerbewaffneten Männer in die Bank eingedrungen und hatten Kunden und Angestellte in ihre Gewalt gebracht.

Wie gestern auf der gemeinsamen Pressekonferenz des Generalstaatsanwaltes und des Polizeipräsidenten bekannt wurde, hatten die Geiselnehmer bereits kurz nach Besetzung der Filiale eine Geisel freigelassen, die der Polizei den Forderungskatalog der Gangster überbrachte. Ein um das Grundstück der Bankfiliale befindlicher Zaun sollte binnen sechs Stunden entfernt werden. Darüber hinaus forderten die Banditen einen Transporter und die Bereitstellung eines Helikopters in der Nähe von Dreilinden. Zudem forderten sie ein Lösegeld von 17 Millionen Mark.

Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) kam zu einer Stippvisite vorbei und versicherte, daß man alles tun werde, um das Leben und die Gesundheit der Geiseln zu schützen. Auch der Regierende Bürgermeister erklärte, daß Gesundheit und Leben der Geiseln absoluten Vorrang hätten.

Gegen zwanzig Uhr wurde bekannt, daß die Täter angedroht hatten, einer Geisel ins Bein zu schießen, falls man ihrer Forderung nach den 17 Millionen Mark nicht umgehend nachkomme. Mittlerweile waren die Polizeikräfte um die Bank durch Scharfschützen des Sondereinsatzkommandos weiter verstärkt worden.

Gegen 21.30 Uhr stellten zwei halbnackte Polizeibeamte, den Anordnungen der Gangster gemäß, mehrere schwarze Säcke mit dem Lösegeld vor der Bank ab. Um 22.30 Uhr löschten die Geiselnehmer mit Garben aus ihren Gewehren das Licht und setzten eine Überwachungskamera außer Betrieb. Dann wurde die Geduld der rund 100 Reporter von mehr als 30 Rundfunk- und Fernsehanstalten erneut auf eine harte Probe gestellt. Kurz nach Mitternacht sollen Beamte noch einmal Plastiksäcke mit Geld vor die Bank gebracht haben. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Banditen schon längst mit fünf Millionen Mark über den eigens gegrabenen Tunnel durch die Decke des Bankgebäudes in die Kanalisation abgesetzt. Die in einem Nebenraum eingesperrten Geiseln hatten bis gegen ein Uhr in der Nacht laute Klopfgeräusche gehört.

Nach Auskunft der Polizei handelte es sich bei der Geiselnahme um ein von langer Hand geplantes Gangsterstück. Innensenator Dieter Heckelmann lobte unterdessen das „besonnene, geduldige und behutsame Vorgehen der Berliner Polizei“ und gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß die inzwischen eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen ebenfalls zu einem Erfolg führen werden. „Wir fühlen uns an der Ehre gepackt“, so Polizeichef Hagen Saberschinsky. Die Tat sei von vornherein als Geiselnahme geplant gewesen. Schon Wochen vor der Tat hätten die Verbrecher mit dem Bau des Fluchttunnels begonnen.

Den als Geiseln genommenen Angestellten und Kunden der Commerzbank-Filiale geht es nach Polizeiangaben „verhältnismäßig gut“.

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