: Peripher titanisch
■ Berliner Kinomarkt jetzt: Multiplexe in der Peripherie, neue Off-Kinos, modernisierte Ku'damm-Häuser. Das Filmhaus am Potsdamer Platz dümpelt indes in der Planungsphase herum
Einer der wenigen Bereiche, in denen mit dem Mauerfall keine Wende kam, ist die Berliner Kino-Szene. Sie prosperierte bislang ungestört und gleichmäßig. Doch mit der Gelassenheit ist es ab jetzt vorbei. Neue Investoren drängen auf den Markt, die in Deutschland einmalige Off- Landschaft und die altmodischen Ku'damm-Theater müssen sich auf einen harten Konkurrenzkampf einstellen. Der digital aufgemöbelte Zoo-Palast und der wiedereröffnete Steglitzer Titania-Palast sind nur Vorboten umfassender Umwälzungen in der Kino-Szene.
Die Kinos gehen in die Offensive: große Säle, technische Perfektion, Sessel, die jedes Wohnzimmersofa verblassen lassen, Gastronomie – kurz: ein glamouröses Kino-„Erlebnis“ soll die Leute vom Breitformatfernseher und der Videosammlung zu Hause weglocken. Bis vor einigen Jahren glaubte man nicht so recht an dieses Rezept. Die Wende brachte der riesige Erfolg der Multiplex-Kinos in vielen deutschen Großstädten.
Große Kinos alten Stils wie das Marmorhaus und die Filmbühne Wien versuchen bereits jetzt, sich mit Modernisierung und Vergrößerung gegen die in den Startlöchern stehende Konkurrenz zu wappnen. Denn der Trend geht in die Peripherie: In Berlin wird es demnächst kaum eine Vorstadt ohne Multiplex-Palast geben. Da es nicht gelingt, mehr Menschen in die Innenstadt zu locken, kommt das Kino eben in die Wohngegenden. Die Miete ist billiger, Parkplätze gibt es reichlich: Das Shopping-Mall-Prinzip. Und bei mindestens 10 Sälen kann man sich auch ohne Kenntnis des Programms ins Kino aufmachen. Irgendwas wird schon im Angebot sein.
Der Hamburger Flebbe-Konzern (die Nummer zwei auf dem deutschen Kinomarkt) plant ein Multiplex mit mindestens zwölf Sälen am Potsdamer Platz; die amerikanische UCI (die bereits den Zoo-Palast besitzt) will in Marzahn zuschlagen, und die Berliner Ufa, größte deutsche Kinobetreiberin, wird das Kosmos in der Karl-Marx-Allee um 9 Säle mit dann 3.000 Plätzen erweitern.
In der Immobilienbranche, die nach Alternativen zum immergleichen Bürokomplex sucht, liebt man die Multiplex-Idee. Auch der für größere Bauvorhaben vorgeschriebene Kulturanteil läßt sich mit Kinos profitabel füllen. Die britische Immobilienfirma Healey&Baker will Büros, Einkaufszentrum und Seniorenheim in den geplanten „Stadtschloßarkaden“ in Weißensee ebenfalls mit einem Großkino veredeln.
Viele Konzerne bauen ihre Multiplexe nur, um potentieller Konkurrenz zuvorzukommen, denn die Zahl der geeigneten Standorte ist begrenzt. Ob sich alle geplanten Multiplexe halten können werden, ist fraglich. Fehlen die nötigen Blockbuster oder scheint zu lange die Sonne, stehen die Betreiber statt mit ein oder zwei gleich mit zehn leeren Sälen da.
Programmkinos sind von einer neuen Konkurrenzsituation noch am wenigsten betroffen. Schwierig wird es allerdings für anspruchsvollere Premierenkinos. Wenn die von den Verleihern hofierten Multiplexe den jetzigen Kommerzhäusern die großen Filme wegschnappen, könnte etwa am Ku'damm auch das Programm eines Yorck laufen. „Der Druck wird nach unten weitergegeben“, so Franz Stadler von filmkunst 66.
In der Mittelschicht der Berliner Kinos macht sich deshalb Betriebsamkeit breit. Stadler eröffnet Mitte August das neue filmkunst 66 in der Bleibtreustraße mit dann zwei Sälen. Die geplante Vergrößerung seines zweiten Kinos Tivoli auf fünf Säle liegt allerdings erst einmal auf Eis. Das fsk hat das schöne alte Domizil an der Wiener Straße bereits vor einiger Zeit gegen ein neues aus Alu und Glas am Segitzdamm eingetauscht. „Es sieht scheiße aus“, gibt fsk-Chef Christian Suhr zu, doch er zieht den höheren technischen Standard dem alternativen Charme vor. Den zweiten Saal füllt man im fsk leicht.
Jüngster Neuzugang in Berlin ist das Programmkino Blow Up in der Immanuelkirchstraße, das offenbar bestens läuft. Auch der neue Titania-Betreiber will expandieren. Er hat sich einen ehemaligen Kino-Standort in der Spandauer Altstadt gesichert, an dem jetzt noch ein Supermarkt steht. Dort will er vier Säle mit je 200 Plätzen bauen.
Und Regisseur Michael Verhoeven („Die weiße Rose“), der bereits das Toni in Weißensee besitzt, hat nun auch das Filmtheater am Friedrichshain gekauft. Bespielt werden sollen die fünf Säle (einer mit Orchestergraben) ab Frühjahr 1996 von der Yorck- Gruppe, der Berliner Gigantin für gehobene Unterhaltung und Filmkunst. Sie betreibt bereits die Yorck-Kinos, das Off, Olympia, Manhattan, Capitol, Passage, Nord, Scala, Broadway, International, Babylon, Odyssee sowie das Odeon. Kooperation und Kartellbildung sind bei der rüden Politik der Verleihfirmen oft unumgänglich. Sie vergeben ihre Filme meist nur noch für längere Zeiträume. Wer nicht mehrere Säle bespielt und flexibel auf die Zuschauerzahlen reagieren kann, riskiert, seine einzige Leinwand wochenlang mit einem Flop zu blockieren.
Bei all diesen hektischen Marktbewegungen ist es still geworden um den Ort, der Zentrum der Berliner Filmszene werden soll: Das Filmhaus am Potsdamer Platz. Bereits vor zehn Jahren begann die Planung, damals noch für das jetzt auf den Abriß wartende Esplanade. Vier Institutionen sollen im Jahr 2000 unter Sonys Dach am Potsdamer Platz einziehen und sich gegenseitig mit Synergie beflügeln: Die Arsenal-Betreiber „Freunde der Deutschen Kinemathek“ mit zwei Kinos; die Stiftung Deutsche Kinemathek, die dort Filme restaurieren, archivieren und ihre Archivbestände (u.a. den Marlene-Schatz) ausstellen will; die Deutsche Film- und Fernsehakademie (DFFB) sowie eine Mediathek, die der Öffentlichkeit die Radio- und Fernsehgeschichte nach dem Vorbild des Museum of Radio and Television in New York zugänglich machen wird.
Das Archiv, das sich noch in der Gründungsphase befindet, sucht derzeit nach Geldgebern. Auch der Konkurrent Nordrhein-Westfalen, der sich das Museum gerne sichern würde, ist noch nicht ausgeschaltet. Wie das Filmhaus letztlich aussehen wird, ist derzeit Gegenstand zäher Verhandlungen mit dem Vermieter Sony, der sich mit der Entscheidung, das Esplanade abzureißen, nicht vertrauenswürdiger gemacht hat. Es geht vor allem um die Frage, ob die Nutzer in dem Gebäude unter sich sein werden. Erika Gregor vom Arsenal wie auch der Mediathek-Gründungsbeauftrage Helmut Drück befürchten, daß man sich das Filmhaus mit Boutiquen und Büros wird teilen müssen: „Am Ende ist dann unten nur ein Messingschild dran.“ Jörg Häntzschel
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