■ Hessen legt das AKW Biblis A für ein paar Monate still: Aus dem Alltag des Atomausstiegs
Sogar Postbeamte lassen sich manchmal dazu überreden, Fragen zu beantworten, die sie selbst für überflüssig halten. Die Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke jedoch sind von solchen Anfechtungen frei. Sie betreiben Atomkraftwerke. Manchmal brennt es in der elektronischen Zentrale. Die Sprinkleranlage, die dort installiert ist, funktioniert vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wen interessiert das schon?
Ganz gewiß niemanden. Die Absicht, Atomkraftwerke zu betreiben, ist nicht eben weit verbreitet. Auch Landesregierungen hätten eigentlich andere Sorgen. Ausschließlich die Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke sind es, denen die Sprinkleranlage im Schaltraum des Blocks Biblis A eine Herzensangelegenheit sein müßte. Es ist schließlich ihr Kraftwerk.
Statt dessen muß jetzt eine grüne Landesministerin eine Mängelliste aufstellen, Gespräche mit einer Bundesministerin führen, eine Pressekonferenz abhalten und etliche Staatsbeamte mit der Aufgabe betrauen, die Sache weiterzuverfolgen. Der Konzern sieht sich dazu nicht in der Lage, seit mehreren hessischen Wahlperioden nicht. Mal war das Personal knapp, dann war die Frist ohnehin überschritten, oder es paßte nicht in die gesamtwirtschaftliche Konjunktur.
Sogar Grüne beschleicht da wohl ein Gefühl der Unabwendbarkeit. Der Weg zum Ende der Atomgesellschaft führt nicht über den Energiekonzern, sondern über seinen Sachbearbeiter. Dort endet er. Die große Katastrophe ist denkbar, sogar noch, wenn danach ganze Landstriche unbewohnbar sind. Die kleine jedoch, mit der sie verbunden ist, diese Mischung aus Dummheit, Geiz, Schlamperei und Sitzfleisch, überfordert jede Vorstellungskraft. Auch der Versuch, Volksaufstände dagegen anzuzetteln, stößt an unüberwindliche Grenzen. Wogegen sollten wir demonstrieren? Gegen ahnungslose Sachbearbeiter, die nie etwas dafür können? Hessens Umweltministerin hat ihnen realistischerweise lediglich eine weitere Frist gesetzt. Was soll sie anderes tun, als zu hoffen, daß auch dieser Antrag zu den Akten gelegt wird?
Es ist nicht die Radioaktivität alleine, die den Betrieb von Atomkraftwerken zum Abenteuer macht. Es sind die Pfennigfuchser und Sesseldrücker, die in Industriekonzernen ebenso verbreitet sind wie in den Verwaltungen. Kein Mensch verlangt von ihnen, daß sie Atomkraftwerke freiwillig stillegen. Aber wenigstens die Mittagspause könnten sie abkürzen, wenn eine Landesregierung, zwanzig Wissenschaftler und ein paar Bundesbehörden ein Problem haben. Niklaus Hablützel
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